Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Unterwegs auf dem Weg von Wien nach Prag, 25. bis 29.(?) Juni 1804, Montag bis Freitag

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Ich wüßte nicht, wo ihr eher es mir, oder dem Geschäftsmann überhaupt zumuthen solltet und die Unterlaßung zurechnen – vom Briefschreiben schreib' ich – als unterwegs, wenn er im Reisewagen sitzt.

Seelen-allein (sogar den üblichen Kutscherrücken verdeckt eines Leders Rückseite) fahr ich seit gestern früh, abwechselnd wandernd, durch frische Saat- und Korn-lüfte etc. daß ich alles auf Eselshaut, halb mit dem Bleistift halb im Gedächtniß niederschreiben muß, darf euch keine Sorge machen: Dinte und Suppe find ich Abends. Eher das, daß Ihr auf diese Weise niemals recht zur Originalausgabe des Briefes gelangen könnt. Aber was thut das? Die wahre ächte wäre ohnehin die avant la lettre.

Nach Richters Vorschrift beschreib' ich hier für Zween Ein Papier-Individuum, entscheide aber sogleich selber den Frieden hierüber: Richter soll es nämlich überfahren, Emanuel aber bewahren.

Wenn ich aber im Ernste weiß oder nur wißen mag, was ich nach solchen Eingängen an Euch hier aufsetzen könnte, so will ich nicht ehrlich od. seelig seyn. Mir ist zu wohl heute, um nach dem Liebsten zu angeln. Kaum dies Nachtquartier erreicht zu haben ätz' ich den Wunsch. – Einen Einfall? Um die Welt nicht.

26ter

Und gleichwohl welch ein Nachtquartier! Schon Mittags, in der Gränzstadt von Mähren, Znaym, hatte ein feiner humoristischer Wirth sein mein Augenmerk auf sich gezogen. Ich notirte an ihm, so gut als Richter gethan hätte, im runden Gesicht den beweglichen Mund, nur zu Anfängen eines kurzen Lächelns gemacht, das sich ebenso schnell in Ernst zurückzog.

Abends aber! Gleich beim Absteigen im Wirthshaus von Budwiz kam mir ein kleiner mährischer Kellnerjunge entgegen, mit fremdartigem Deutsch aber von soviel Eleganz und Ernst entgegen, daß ich sogleich genöthigt gewesen wäre, ihn Sie zu nennen, wär' es nicht schon sonst mein Gebrauch.

Oben im netten Zimmer lang ich sogleich meine glänzend neue Geige aus Wien, die ich mir erst in diesem Monat von Geissenhof allda machen laßen , u die ich auf dem ganzen Wege, sogar im Wagen drin ausspiele, aus dem Futteral, und laße sie und mich erst loben vom kleinen Kellner "Sie könnens" der dann mit dem Erbe auf seinen ältern Bruder übergeht, der ebenfalls im Hause ist, u nächstens als Geiger nach Wien reist. Unten auf der Bank vor dem Hause find ich diesen, wieder einen sehr gebildeten Menschen, der auf meine Anrede davon, was ich schon von ihm weiß, zu seinem Bruder sagt: Hast du schon geschwatzt? und dann mit mir auf andere Gespräche, über das Bohmische pp kommt. Unterdeß will mir mein kleiner Kellner die Suppe hinauftragen – ich halte ihn auf der Treppe an, stottre nach meiner Art ein wenig, und sage dann: ich speise unten in der Wirthsstube. Drin find' ich noch ein paar junge Leute vom Haus, im Gespräch und Vergleich des Wiener und des Brünner Augartens, wo ich über den erstern beinahe meine eignen Worte höre: "Der Wiener Augarten hat Alleen und Prospekte." (Sonst sag' ich auch: Der W. Augarten ist ein schöner offner Saal, mit Wänden von Bäumen, worin es einem nur darum so wohl ist, weil man nach jeder Seite Fenster in die Natur, auf Feld u Gebürge hinaus hat. Nur so kann man die französ. Gartenkunst im Uebrigen ertragen und selbst lieben.) Unterdeßen soupir' ich köstlich und winke, mir selbst unähnlich – da ich sonst gewöhnlich den Wirth vorher befrage, ob er guten Wein habe, und zu welchem Preise – bloß meinem jungen Freund zu, der sich in seiner Kellner-Entfernung hält: Wein, guten! und er bringt mir auch den besten, darauf wollt' ich schwören.

Nach Tisch näher' ich mich der so vernünftig räsonnirenden Gesellschaft und dem mitsprechenden Wirth, von dem bisher noch gar nicht die Rede war, und nun laßen mich die Leute, indem sie mein vorhin behorchtes Geigen erheben, so deutlich merken – und doch mit soviel Bescheidenheit, es auf keine Weise zu verlangen – welch Vergnügen es ihnen seyn würde, wenn ich ihnen meine Geige sehen und hören ließe, daß ich ein wahrer Stock gewesen seyn muß, ihnen darauf nichts zu geben als gute Nacht und als müde, (da ich bloß faul war) mit meinem Lichte hinaufzugehn.

Ueberhaupt aber war ich ordentlich verstört über die allgemeine Ordnung und Klarheit in diesem Hause, so daß ich auch an andern Morgen den kleinen Kellner auf die wie mir schien zu billige Rechnung erst unproportionirt bezahlte, und dann zum Abschied die Hand wärmer als er verstehn konnte, drückte.

Nun, das war doch eine gute Schenke? fragt' ich draußen meinen obersächsischen Retourkutscher, der mir eine beständig komische Person zumal unter den kräftigen Mähren ist. "S'is ehnerlah, ich hawe müßen 2 Gulden 40 xr bezahlen."


28.

Noch ein solches Nachtlager fand ich vergangene Nacht im Böhmischen. Wenn meine Mähren gebildeter waren, so waren meine Böhmen herziger. Ich habe aber meinen Erzählungston auf dem Papier von Vorgestern her dick u satt, und will daher dießmal bloße Rubriken hersetzen, um mir beim mündlichen Erzählen nachzuhelfen.

Merk Di e r also das Sandwirthshaus zwischen Czaslau u Jenikau – Anfänglich Murren u Zank über das einzige Zimmer – Herbeigegeigte Zuhörer vor dem Parterre-Fenster – Aeltester Sohn tritt ein – philosophische Gespräche – er wird zum Essen gerufen – Leiter ans Fenster, die ich besteige – Hereinnöthigung – Familienbecher – Eitelkeit des Candidaten – Nachtkonzert – Zeche am andern Morgen u Großmuthsstreit über Untersetzung dabei mit einem bildh bildschönen Jüngling und Hausknecht.


Unterwegs.

Wie ist alles so scho günstig und lachend auf dieser Reise! Der Himmel, die Jahreszeit, die Wirthshäuser, meine Gesundheit, die Wohlfeilheit der Reise, das Alleinseyn, das Ziel und die Auflösung Baireuth hinter den vorhaltenden Akkorden Carlsbad und Eger, der mir selber untergeordnete und mit Spaß beherrschte Kutscher, Ludwig mit der vorauslatschenden Stiefelsohle, von der ihm sogar das Barfußgehn auf eine lächerliche Art erschwert wird pp.

Ich will nun erzählen wie meine Einrichtung und meine Lebensordnung im Wagen ist. Vor allen Dingen hab ich in den Wagentaschen ein großes Stück Salami od. Italienische Wurst neben einer starken ½ Maaß Bouteille ächten Neßmiller (dem leichtesten Ungarischen Wein) , beides aus dem Keller meines vortrefflichen Freundes u Correspondenten in Wien Joseph Reich, mit dem ich eben so gern scherzte als geigte – ferner hab' ich neugekaufte griechische Bücher bei mir, die man in Wien leichter gut haben kann als teutsche, worin ich ohne Affektation laut lesen kann – dann hab' ich in den Westentaschen unter dem Kupfergeld 4 kleine gespitzte Bleistifte (wovon wider meine Absicht damit, noch keiner verlorengehen wollen) mit denen ich im Trab auf dem schlechten Wege in der Hand, so gut wie am Pult aufzeichne was mir einfällt, sogar Melodien.

– Der rechte Stolz möchte alle gleich stolz.

– Der Mensch wird rücklings den Berg seiner Bildung hinaufgeführt u hält immer den letzten Schritt, die letzte Aussicht, für den Gipfel.

– Der Leser (Anschauer, Hörer) soll über den Geist reflektiren, der Künstler über den Buchstaben. Dieser soll das Leben bis in das letzte Organ verfolgen, den Duft sehen, den die Andern nur riechen. Der Leser hingegen, der nicht Künstler werden will, soll sich bloß hingeben u die göttliche Erscheinung haben.

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Unterwegs auf dem Weg von Wien nach Prag, 25. bis 29.(?) Juni 1804, Montag bis Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1547


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Textgrundlage

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 1, S. [36]–[41].


Korrespondenz

Zur Datierung: Der letzte, mit "Unterwegs" übertitelte Abschnitt des Briefes wurde nach dem 28. Juni verfasst und vor Thieriots nächstem Brief vom 30. Juni 1804 aus Prag.