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Heidelberg Jul. 1817.

Vorigen Sonntag , als ich etwa um 6 Uhr abends heiß beim Shakspeare sitze, meldet mir die Magd , es sei ein armer Student da, der ein Unterstützung begehre; u. sogleich tritt der Student in die Tür herein u. klagt s. Not in einigen wohlgesetzten Perioden Worten . Ich denke bei mir: "für einen Studenten siehst du nicht mehr allzu jung aus", u. seh' ihm steif in sein wunderschönes Auge. Da fällt mir der Teufelsstudent um den Hals u. küßt mich, als wenn er mich ersticken wollte: Jean Paul ists, der liebe, langersehnte, u. wahrlich heiß ersehnte J. Paul. Es ist doch bei Gott ein eigenes Gefühl, einen solchen Mann zum erstenmal zu sehn, u. an das warme Herz zu drücken; u., wahrhaftig, Bruder Martin hat Recht in dem, was er zu Götz v. Berl. sagt . Von Form u. Wuchs ist J. P., wie jeder andre ehrliche Filister, aber sein Auge – nein, so ein Auge, das hat Gott nur in der höchsten Begeisterung erschaffen können; u. welche Biederkeit, Rechtlichkeit, innige Herzlichkeit ruht auf s. Zügen, besonders, wenn er bei Anhörung von etwas Schönem u. Edlem lächelt! Um dies Lächeln müßten ihn die Engel im Himmel beneiden. Man hatte mir gesagt, J. P. liebe nichts mehr, als Tummelung in großen Gesellschaften. Was war nun natürlicher, nachdem wir uns durch ein kleines Junggesellenmahl u. ein recht herzliches Gespräch erlabt hatten, er von der Reise, u. so eben erst war er vom Wagen gestiegen, ich von des Tages mühseliger Kopfarbeit, daß ich ihm anbot, noch einige Besuche zu machen; od. ihn nach [...]stischen Personen zu führen, wo er die Leute Heidelb. finden würde. "Wenn Sie es wollen", sagte er, "u. durchaus wollen, nun wohl, ich folge Ihnen. Soll es aber nach meinem Sinne gehn", u. dabei sah er gar freundlich aus, "dann bleiben wir heut unter uns, ein halb Stündchen ausgenommen, das ich brauche, um den Fuhrmann zu zahlen, u. mit Aufträgen an die Frau u. die lieben Kinder zu bepacken." Er war nämlich mit einem Bair. Fuhrm Einspänner gekommen. Glaubst du, mein Theurer Truchseß, daß ich dazu scheel sah, oder glaubst du, daß ich dem lieben Mann recht herzlich die Hand küsste? Doch wohl das letztere. Ja, nun hatte er mein vollkommmenes Vertraun. Eine kleine Stunde ließ ich ihn darauf im Wirtshause allein , u. unterdeß machte ich einen Spaziergang am Neckarufer, o gewiß mit recht dankbarem Gefühle gegen die Vorsehung, daß sie mich eines solchen Glückes gewürdigt hatte. Als ich zurückkam, fand ich den Brief geschrieben, u. J. P. 93 Gulden abzählend, womit er nicht recht fertig werden konnte. Ich half ihm mit meiner Weisheit; als aber der Kellner kam, u. unser Werk überschaute, fand sich's, daß wir beide uns um zehn Kreuzer verzählt hatten. Nun kam der Fuhrmann, u. J. P. gab ihm acht Gulden Trinkgeld (viere, glaub' ich, hatte er ihm versprochen): "erstlich", wie er sagte, "weil du ein guter Kerl bist; zweitens, weil du ein armer Teufel bist, ich zwar nicht übermäßig viel, aber doch mehr habe als du; drittens, damit du der lieben Frau und den lieben Kindern all die schönen Sachen genau wieder sagst, die ich dir unterwegs vorgesagt, u. hundertmal eingetrichtert habe." Dies letzte versprach der Mensch (Gott gebe, daß er imstande sei, es |2 auszurichten!), und nun ergoß er sich in Lobeserhebungen: "Ne! was das für'n Mann sein, der Herr Legationsrat, daß globen Se nie nich, so brav, so gemeen, und was er eenen zu Assen gibt, das gloobt keener, u. z'trinken; er hat mer den ersten Tag fünferle Schnaps gegeben, und 'ch war ganz neblicht davon." – "Was?", fuhr J. P. dazwischen, "ein Kerl aus dem Thüringerwalde, der unter den Russen gedient, u. mit denen, wer weiß wie viel Maß Schnaps gesoffen, der ist so eine Schnapsmemme?" Unterdeß hörte der Schwager gar nicht auf mit s. Lobeserhebung, u. all s. Perioden schlossen mit: "Ne, so'n Mann gibts auf Erden nich als den da." "Und den da", fuhr J. P. von Neuem dazwischen, auf mich zeigend, u. machte dabei so viele Grimassen und tolle Interjectionen, daß ich gar nicht aus dem Lachen herauskam. Geld hat J. P. blutwenig mitgebracht, wenigstens glaub' ichs so; doch denkt er kein Geld zu sparen, u. nichts schuldig zu bleiben. Er führt nämlich eine köstliche Münze im Kopf; er hat sich auf der Reise allerlei Aufsätze ausgedacht, die er in den Morgenstunden zu Papier gebracht, u. sodann von Cotta versilbert werden; u. Cotta zahlt ihm, was er begehrt – viel, wiewohl viel zu wenig von dem Erzschindjuden, der wenigstens schon 30000 Thl an ihm gewonnen . Daß unser Gespräch den Abend von Osten nach Westen schwadronierte, kannst du denken; erst die folgenden Tage sind wir zum Detail gelangt. Was ihm mein ganzes Herz gewonnen, ist die Liebe, mit der er von meinen Eltern spricht, zumal von der guten Mutter, die er durch Schilderungen so genau kennt, wie wir. Er kann nicht satt werden zu hören, u. ich nicht, zu erzählen, u. ich wollte, du sähest sein Gesicht, die Gier, womit er dergleichen auffaßt. In unsern Garten hat er sich ganz verliebt, besonders in die schöne kühle Grotte. Dorthin gedenkt er oft zu kommen, u. zu arbeiten; u. wir haben ausgemacht, wenn es vor 7 Uhr des Abends ist, kümmert keiner sich um den andern, sondern jeder studirt für sich. Da hab' ich ihm schon die Bank zum Sofa einrichten lassen, u. ein viereckicht Tischchen (die runden sind ihm zuwider) davorgestellt, und auf diesem soll immer ein Krug Bier (Shakspears Autolycus singt: Ein Maß gut Bier ist ein königliches Mahl ) parat stehn. Als ich ihn verließ, sagte ich ihm: den folgenden Morgen wollt' ich ganz ihm schenken. Er verbat das; ich bestand darauf. Er verbat's heftiger: "ich hab' einen eisernen Willen", sagt' er. "Ich auch" antwortete ich, "u. wir wollen sehn, wessen der eisernste ist." Daß ich durchdrang, denkst du wohl. Ich führte ihn den ersten Morgen Straß auf Straß ab zu Krethi u. Plethi, u. überall wo ich hinkam, sitzte es frohe, an manchen Orten sogar mehr als frohe Gesichter. Eine geistreiche Donna sprach sehr zärtlic zierlich, wiewohl sie sich sonst eben nicht in ihren Gesprächen in Unkosten setzt, sondern sich vielmehr natürlich gehn läßt, und ihre Tochter, von Kindheit schon eine Bewunderin J. Pauls, äußerte ihr Entzücken im stillen Anschaun des großen Mannes. Ein Frauenzimmer aus der Gellertschen Periode war dabei, die so ein wenig mit der Zeit fortgekrabbelt ist. Sie sagte ihm, als er erzählte, die Nachrichten von den Überschwemmungen hätten seine Reise verzögert: "Ei, mein Gott! die Fluten in Mannheim haben Ihnen zurückgehalten? Sie hätten nur kommen sollen. Wir alle Heidelberger hätten uns ins Wasser gelegt, u. so Ihnen Brücken gebaut. Das wäre der geringste Dank gewesen vor die so vielen, vielen, vielen Genüsse, so Sie uns verschafft haben." J. Paul bleibt nicht leicht eine |3 Antwort schuldig. Hier aber verstummte er, die Kühnheit der Idee anstaunend. Frau von C, eine Frau, "die", wie Shaksp. sagt, "den Faden ihrer Redseligkeit feiner spinnt, als die Wolle ihrer Gedanken verträgt" , sonst aber eine wackere Frau ist, und eine Erzverehrerin J. Pauls, schwebt in – – nein, ich weiß gar nicht zu sagen, worin sie schwebt, denn die sieben Himmel bei Holberg reichen bei weitem nicht hin . Ich speise heuer Mittag bei ihr, einen Löffel Sülze, wofür ich dankbar bin, und den ganzen J. Paul, wofür noch dankbarer. Gestern mittag aßen wir bei Schwarz, u. hatten ein gar fröhliches und gemütliches Mahl, mitten unter den Kindern, an denen J. Paul, der kindliche, selber so viel Freude hat. Im Institute der lieben Emil. Heinse, wo du ich, wie du weißt, in dieser Zeit als Mittagsgast aufgenommen bin, werden wir auch einen Nachmittag zubringen; den alles muß J. Paul sehen, wo sein Herz Nahrung findet. Heut Abend giebt uns ein Herr von Ditmar ein kleines Essen, morgen Abend wahrscheinlich Professor Dietenberger, ein treuer Freund unsres Hauses, u. dir vielleicht durch sein Schriftchen: "Die Kaiser in Heidelberg" bekannt. Die Studenten drängen sich zu J. Paul, wo sie nur können. In J. P. Gasthofe speisen täglich eine ganze Menge mehr, als sonst, um den Wundermann zu sehn. Auch ein Vivat wollen sie ihm bringen, u. vergessend, daß Moritz Arndt sie für dergleichen etwas abgeschreckt hat; vielleicht außerdem noch eine Ehre anthun. Zu Sonntag ist eine große Fahrt auf dem Neckar v. 70–80 Personen. Die Frauen werden das Essen besorgen, wie Männer den Wein, u. für J. P. sorgen wir alle. Sonntag über 8 Tage gehts, oder fährts nach Weinheim zu meinem Grimm, u. Schwarz u. mein theurer Hegel werden wohl dabei sein. Übermorgen Abend aber soll in meiner Behausung gepunscht u. geweint werden, u. J. Paul die große Kunst lernen, Stahlpunsch zu brennen: Sieh, alter Truchseß, so gehts in Einem fort, u. wir verlieren uns doch nicht im Strudel, sondern arbeiten Morgens u. Nachmittags, als wenn kein J. P. da wäre. Du siehst aber, daß wirs unserm Taghelden zu an Stof zu einer sentimental-humoristischen Reisebeschreibung nicht fehlen lassen. Der Witz aber u. die Gedanken, die in Gesellschaften u. auf Spazierfahrten verschleudert werden, die gehen auch nicht verloren. Die werden von den Damen aufgehoben, als geistiger Perlenschmuck, u. hier findet sich so etwas wie im alten Mährchen der Mutter Gans, wo einer wegen Gutherzigkeit von den Feen begabten Dirne bei jedem Worte Perlen, Diamanten und Saffire aus dem Munde fallen . Da wahrhaftig, J. Paul ist das Gegentheil von Weißer, der auf die entgegengesetzte Weise begabt ist: mit jedem Worte speit er Kröten, Unken u. Blindschleichen hervor, so giftig, daß nicht einmal unser Heidelberger Storchpaar sie anrühren mag. J. Paul hat eine wunderbare Weise des Umgangs. Jedes gesprochene des Wort erregt in ihm eine neue Idee, die wie ein "harmloses Wetterleuchten" (ein Wort Shakspears) leise das Gehirn berührt, u. dann verflogen ist. Daher die Unerschöpflichkeit seines Gesprächs. In großer Gesellschaft spricht er selten zusammenhängend, sondern abspringend, grade wie seine Gedankenspäne im Morgenblatt; u. man kann wohl sagen, was Don Carlos von Markis Posa: "die Splitter seines Geistes könnten tausenden genügen", die nicht gerade Dummköpfe zu sein brauchten . In seinem Zimmer aber, selbander oder selbdrei, ist eine wahre Wonne, ihm zuzuhören. Wie weiß er Geist u. Herz allgewaltig zu treffen, u. wie fühlt mans im |4 inneren Herzen, daß, was er sagt, aus dem Herzen entspringt. Wie oft ist mir schon eine Träne ins Auge getreten, nicht bei einem rührenden oder gar herzbrechenden Worte von ihm, sondern wenn mich die Wahrheit und die innere Schönheit seines Wortes traf. Mit dem kann man nicht leben, ohne den steten Vorsatz, ein besserer Mensch zu werden. Und deuten darauf nicht auch die besten seiner Werke hin? natürlich die Neujahrsnacht eines Unglücklichen? – Mehrere unsrer neumodischen Filosofen trennen Geist u. Herz ganz, u. als ich in Jena studirte, war es sogar Ton, so zu sprechen, als wenn das abscheulichste Menschengeschöpf, wenn in ihm Fantasie glühte, der edelste Dichter sein könnte. Aber mit Verlaub, ihr Thoren, das ist nicht wahr! Das Herz ist die Krone des Menschen, u. wo der ganze innere Mensch nicht gut u. edel u. recht in allen Theilen moralisch gesund ist, da muß die köstlichste Geistesanlage zum Teufelsgott werden. Daß Jean Paul meinen herrlichen Vater wegen dieser Sittlichkeit so lieb hat, weiß ich nun, u. daß beide meinen Aristofanes so lieben wegen s. sittlichen Hoheit, das weiß ich auch. Aber viele sind blind für diese Seite des Aristofanes, u. Zerärgern sich über die äußere Seite, die er doch annehmen mußte, um auf das athenische Volk wirken zu können. Ich werde mich über diesen Gegenstand recht auslassen in den Bemerkungen zu den Fröschen, wo es an pikanten Seitenhieben auf Kotzebue u. den entnervenden [...]consorten nicht fehlen soll. – Ich war noch lange gestern Abend bei J. Paul, denn er zieht magnetisch an, u. klammert an sich fest. Wir nahmen herzlichen Abschied, als der liebe Gott aus Abend und Morgen den zweiten Tag vollendet hatte. Eitelkeit wirft man J. Paul vor. Ich habe nichts dergleichen an ihm gespürt, nämlich von der lumpigen Eitelkeit, wo jedes Lob kitzelt, u. hätt' es auch ein Konditorweib ausgesprochen. Aber jenes großartige Selbstgefühl eigner Größe hat er auch, und wer hat das nicht, wer ihm an Größe gleicht? Wer es nicht zu haben vorgibt, ist ein Erzlügner. Schiller hatte eine kindische Freude, wenn ein Stück von ihm auf dem Theater gefiel. Und schreibt nicht die Heilige Schrift dieses kindliche Wohlgefallen dem Schöpfer nach der Schöpfung zu, "als er sahe, daß alles wohl war?" So will ich Dir gleich gestehn, um an Großes Kleines zu knüpfen, daß es mich unbändig freut, wenn mich J. Paul wegen meiner Shaksp. übersetzungen so lobt, u. daß ich um alles nicht dies Gefühl missen wollte, denn ohne dergleichen kommt man nicht vorwärts in der Welt. Als ich gestern um 5 zu Hause kam, wohl vor J. P., u. mich an den Shakspeare setzte, da war mirs, als wenn ich mit der vollen Arbeit im Kopf an meinem Eutiner See ginge, u. eine ferne Musik v. Waldhornklängen vernähme; u. da ich mein nicht kleines Pensum heut überlese, da scheint es mir besser zu sein, als alles andere. Wie dauert mich da der |5 arme Gries, der keine Nachtigall singen hört, keine Herzensstimme J. Pauls, außer wenn sie ihm ins Ohr gebrüllt wird, u. doch soll er Calderon übersetzen. Ich begreife es, wenn er mir schreibt, aller Mut, alle Begeisterung wiche von ihm, u. ich thue daher, so viel in Briefen geschehn kann, ihn in Athem zu erhalten. Schreibe ich ihm nun aber von J. Paul, so wird ihm das Herz schwer, daß ihm nicht auch das Glück ward, das er mir so von Herzen gönnt. – Da J. Paul so vieles ist, so wundre dichs nicht, daß ich ihn auch einen Magnetisieur nenne. Er hat schon viele geheilt. Wie er bei Paulus so lebendig davon sprach, rief er mit einmal aus: "jetzt wäre' ich in der Verfassung, gleich zum Werk zu schreiten, wenn nur eine Krankheit da wäre". Und dann sagte er zu Msll Paulus: "Schaffen Sie sich bald eine Krankheit an, damit ich Sie kurieren könne." – Wenn das erst unter unsern geistreichen Damen bekannt wird, die werden in Rudeln zu ihm strömen, u. ich selbst möchte mich schon von ihm kurieren lassen, wüßt' ich nur wovon. Eine solche magnetische Kraft traute man auch Lavatern zu, als er in Eutin, und ich ein kleiner Knabe war. Ich weiß noch recht gut, daß meine ältere Gespielin, Dörtchen R.. , nicht ruhte, bis bis sie von Lavater den Eremitenkuß bekommen; u. hier möchte ich eine Bemerkung hinzuschreiben, wenn sie nicht boshaft wäre, u. deshalb unterdrückt werden müßte. J. P. hat nun 50 Bände in die Welt gesetzt; 50 andere spuken ihm schon im Kopf herum, wenn er nur die Zeit fände, alles zu gestalten. Er ärgert sich, daß ihm Methusalems Jahre nicht beigelegt werden können. Noch mehr ärgert er sich über Methusalem, daß er so lange gelebt, u. nicht Ein Buch, nicht einmal eine Satire geschrieben, nicht einmal die Buchdruckerkunst erfunden hätte. Satiren möchte J. P. gern in großer Menge schreiben. "Wunderbar aber", sagt er, "kaum hab' ich 5 Seiten Satire geschrieben, dann ist mein Herz wieder voll Liebe. Nur wenn Napoleon mein Gegenstand wäre, da wollt' ich tausend Seiten schreiben, ohne daß die Liebe dazwischen störte." Nicht wahr, alter Truchseß, dieser Haß ist die rechte Liebe. – – – – Was Fouqué über loves labour lost sagt, ist vortreflich, u. zeugt von kritischem Geiste, der aber bei ihm sich nie zu wahrer Kritik verdichten wird. J. Paul, der ziemlich geringschätzig von diesem Stück dachte, natürlich, da ers bloß aus Eschenburg kannte, der die mehr als 80 Wortspiele diebisch unterschlagen, und die Unzahl von Blitz- u. Witzreden alles Stachels und Salzes beraubt hatte, ist durch meine Übersetzung vollkommen bekehrt. Er kann sich gar nicht satt wundern über den "Humor aller Humore", u. führt die Wortspiele beständig im Munde, unter denen ihm eins, wo ich den Nordpol in einen Morgenstern verwandle, u. mit der Morgensternwaffe zusammenkoppele, den meisten Beifall abgewonnen . Er hat sich die Mühe gegeben, vier Akte mit dem Original zu vergleichen, und geht in seinen Foderungen so weit, daß es ihn unbefriedigt läßt, wenn auch nur Ein Wort an einer andern Stelle steht, wie im Original, oder auch nur Ein Wörtchen fehlt. Daß er hier manchmal das Unmögliche fodert, würde dir blitzdeutlich werden, wenn du den einsylbigen Lakonismus der englischen Sprache aus der Anschauung kenntest. Wir hatten gestern eine dreistündige Conferenz darüber, als ich aus dem Colleg gekommen war, und |6 wir den übrigen Theil des Abends friedlich unter uns zubrachten. Mit dem Versbau weiß er gar nicht umzugehn. Seine Verbesserungsvorschläge waren gewöhnlich der Art, daß ich lächeln, einmal sogar laut auflachen mußte, als er ein wahres Ungeheuer von Vers zum Vorschein brachte. "Lieber Mann", sagt' ich, "wo bleibt der Rhythmus?" worauf er mit den Fingern u. den Lippen nachzählte, fand, daß ich Recht hatte, und mit einer unbeschreiblich anmutigen Naivität sagte sein : "Ja so, es geht nicht", antwortete. Auch hat er die wunderliche Vorstellung, daß jeder Rhythmus mit Bedacht hingestellt, u. im eigentlichen Sinn ausgegrübelt werden müsse. Ich fragte ihn, ob denn auch wohl ein tüchtiger Violinspieler jeden Ton mit nachgrübelndem Bewußtsein griffe, u. nicht vielmehr manches der unbewußten, aber sicheren Fertigkeit vertraute? Ich wenigstens kann Gott sei Dank! mit Fouqué sagen: "solches wirk' Ich nicht, sondern in mir die Muse", und eines kleinen Übersetzermüschens kann man sich schon rühmen, ohne die Bescheidenheit zu verletzen. Daß auch Fälle vorkommen, wo man mit Nachdenken nothwendig Rhythmen erkünsteln, und dann mit neuer Kunst ihnen den Anschein des Selbstentstandenen geben muß, versteht sich darneben. An der Prosa hat J. Paul nichts, oder doch nur unbedeutendes auszusetzen, was mich sehr freut. In Erstaunen gesetzt hat ihn meine Übersetzung von Heinrich IV, die schon bis über die Hälfte gediehen ist. Er fragte, ob die Abweichungen von Schlegel sämtlich notwendige wären, oder darunter geflissentliche, um nicht mit einem Nebenbuhler zusammenzutreffen. Ich konnte ihm die Übersetzung geben, u. alles belegen, daß ich nie einer guten Wendung meines Vorgängers ausgewichen wäre, um etwas apartes zu haben, daß aber die Spracharmut Schlegels in diesem Stücke mich eben in Stand gesetzt hätte, ein weit größeres Füllhorn auszuschütten. Ihn aber bat ich, mir die Sprachfülle bei Schlegel aufzuweisen, von der er in der Ästhetik redet, fügte aber sogleich hinzu, all sein Bemühn würde vergeblich sein; denn Schlegel hebe durchaus nur, was am Wege liege. Sehr billigte ers, als ich ihm sagte, ich wolle es bescheiden in der Vorrede zurücknehmen, u. zugleich über meine F früheren Übersetzungen (die ich wahrhaftig ehemals auch für unverbesserlich hielt; denn hätt' ich sie sonst drucken lassen?) ein gleiches Urtheil fällen. Übrigens ist auch J. Paul meiner Meinung, daß beide Übersetzungen, ohne sich zu stören, friedlich neben einander stehn könnten, u. ich sagte ihm, nichts sehnlicher wünscht' ich, als daß Schlegel seinen Shaksp. vollenden möchte, da doch viele wären, besonders in jetziger Zeit, die ihm immer den Vorzug geben würden. Von meinen lustigen Weibern ist er überaus eingenommen , und nun weiß ich, daß dies kein Kompliment ist, wie ich anfangs fürchtete da er in der Treue fast noch strengere Foderungen macht, als ich. Er will in der neuen Ästhetik umständlich über unsern Shaksp. reden und thut es wahrscheinlich noch früher, denn das Heidelberger Leben wird er wohl nicht unbesungen lassen. Meine Falksrezension hatte ihn sehr ergetzt, und er wußte weit besser Bescheid darin, als ich selbst. – Kurz vorher war Falk bei ihm gewesen, u. hatte ihn mit "ekelhaften Tiraden aus dem verfalkten Koriolan" gelangweilt. – Truchseß, wie lieb ist mir der Mann (wahrlich ich nenne ihn meinen Herzensjeanpaul, dir wie ihm, und er hört es gern) mit dem Verstande, der Teilnahme, dem Wissen u. der ganzen liebenswürdigen Persönlichkeit. |7 Ich wollte, du wärst bei uns; aber halt, deine Gesundheit soll morgen in Stahlpunsch getrunken werden, daß die die Ohren erdrönen. Gestern Mittag aßen wir bei Frau von X. und hatten ein wahrhaft köstliches Mahl, unter andern noch die dicksten Pracht Spargel stengel, die ich je gesehn, u. wilde Hühner, mein Leibgericht, u. ein Weinchen, das verdiente, von J. P. brünstig umhalst u. eingehalst zu werden. J. P. erzählte uns viel, u. überaus anmutig, von seiner Frau und von den Kindern. Wenn er von seinem jüngsten Töchterchen so recht innig spricht, dann gehn ihm die Augen über. Sein dreizehnjähriger Bube muß, nach einem Briefe zu urtheilen ein wahrer Prachtbube sein. Wie es mit J. P.s Magnetisiren ist, soll mich verlangen. Was er darüber spricht, scheint mir, dem Laien, sehr verständig, auch gefällt mirs, daß er nichts als Thatsache meint, was nicht auf das strengste beglaubigt ist. Einem alten Geistlichen in Baireuth muß er gründlich geholfen haben ("den Arzt mit seiner Apotheke", sagte er, "schickte ich fort, und die Krankheit ihm hinterdrein"), so auch seiner Magd, die er als ein vierschrötiges aus einer Kerngesunden durch Tanz und Zugluft krank gewordenes Luder schilderte. Diese hat, einem Aberglauben zufolge, ihm gar nicht danken wollen, weil sie die geheime Kunst für des Teufels Hexerei gehalten. Die erste Rede, die der alte Geistliche wieder gehalten, ist die Einsegnung von J. P.s beiden ältesten Kindern gewesen. Ich hätte Dir gegönnt, die ganze Erzählung mit anzuhören, dein Herz wäre innerlich bewegt worden, das weiß ich. Nach dem Essen ging die übrige Gesellschaft aufs Schloß, wo ein Schwarm versammelt war, J. P. zu begrüßen. Er folgte nach gewaltigem Sträuben, u. es wäre nichts daraus geworden, wenn ich nicht dringend, u. ich kann wohl sagen auf das äußerste dringend u. schmeichelnd gebeten hätte, denn einen festen Willen hat er, den nicht leicht etwas beugt, wie ich schon oft bemerkt habe. Ich selbst machte mich zu Haus. Als ich ins Colleg kam, waren mehr als 20 hospites . Ein Gerücht hatte sich verbreitet, er würde den Abend bei mir hören. Ich lese nicht gern vor Zuhörern des Schlages; aber vor J. P. ohne Sträuben und Bedenken, wenn er einmal kommen will. Mehr als hundert Studenten haben sich schon an mich gewandt, ihnen Eingang zu J. P. zu verschaffen. Ich hab' ihnen gerathen, ihm einen Thee, u. zwar ganz einfach und unkostspielig, im Widderschen Saale zu geben. Daß er kommen werde, hab' ich im Voraus verbürgt. Mit denen, die ihn aus Herzenstrieb besuchen, spricht er sehr freundlich, jedoch nicht hingebend, ein paar Neugierige, die sich mit einem Rauchfaß einfanden, hat er höflich ablaufen lassen. – – – Den 10ten Jul. Gestern Abend waren wir bei Paulus, und ich gegen meine Gewohnheit vergnügt bei dem steifen, trockenen Pedanten. Aber nicht Er mochte es,, sondern die Fraun u. J. Paul, der von Mutter u. Tochter angebetet wird. Den Obersten von Massenbach fand ich da, einen Mann mit dem edelsten Gesicht, — Da bin ich von Studenten unterbrochen worden, die einen Commersch J. P. zu Ehren geben wollten, u. ihn natürlich als Gast dabei. Bei der Gelegenheit werd' ich mit einigen meiner Collegen wohl auch einmal wieder zum Commerschiren gelangen, worüber ich mich unsäglich freue. Ich sagte das Hegeln, der mich gestern Nachmittag von der Straße, wo wir uns fanden, mit Gewalt nach Hause schleppte, um mich mit einer prächtigen Himbernkaltschale zu bewirten. Ich fügte hinzu, ich würde nicht ruhn, bis er selbst Präses würde, u. mit dem Hieber |8 in der Hand den Studenten ein Freiheitslied sänge. Wobei sich in der That der düster- und trocken-lustige Hegel ganz herlich ausnehmen würde! J. Paul wird noch ein rechtes Professoren- u. Studentenband werden; u was noch besser ist, wer wird die uneinigen Partein der Studenten vereinigen, wozu schon in dem morgenden Fakelhoch der beste Grund gelegt ist. Der junge Carové, der schon aus Gedichten in Allmanachen bekannt, ein ganz ausgezeichneter und höchst liebenswürdiger Mensch, ist von allen Parteien zum Hauptanführer erwählt worden; u. seine Anrede , die er mir gestern zur Prüfung vorlegte, wird das gute Werk lebhaft unterstützen. Das ist doch schön, wenn Streit sich in Liebe löst, u. diese Liebe sich an einem so herlichen Gemüt entzündet. Nun wollt' ich nichts lieber, als daß Du, mein alter Truchseß heut Abend mein Gast sein könntest, u. auch Gries wünscht' ich herbei und den lieben Br. Abr. Ein Braten, elf Pfund schwer, ist so eben zu Feuer gesetzt, und soll mit Gottes Hülfe zu Abend in kalten Scheiben zerschnitten sein. Servietten und Tischzeug schickt mir die Hegel, die auch für den Nachtisch sorgen will. Auch habe ich gestern eine förmliche Lekzion im Punsch-bereiten genommen; denn ein Männerpunsch solls werden, u. meine Magd versteht nur Damenpunsch zu machen, den der Teufel hole! Auch Cervelatwürste habe ich gekauft u. 5 £ Schweizerkäse, auf daß er es wisset! u. einen ganzen Haufen Salat, schön rötlich gesprenkelt. – An die Sonntagsfahrt haben sich mehr anschließen wollen, als das Schiff ertragen kann. Unser Prorektor hat den Prinzen von Schweden als Gast eingeladen, was zwar ein wenig eigenmächtig ist, da er die übrige Gesellschaft nicht um ihre Zustimmung angesprochen hat, doch wahrscheinlich nicht weiter stören, oder gar die Freude versalzen wird.

Den 18ten Jul. Erst heute komm' ich dazu, meinen Brief fortzusetzen. Man hat einige Tage gesaust und gebraust; da mußte verlorene Zeit eingebracht werden. Mein Punschabend ist überaus herlich ausgefallen; es war ein Friede, eine Freude in der Gesellschaft, die sich besser fühlen als beschreiben läßt. Und lauter auserlesene Männer hatte ich für meinen J. P. geladen, einen einzigen deus minorem gentium ausgenommen, den ich aber als Landsmann nicht füglich übergehn konnte. Ich setzte ihn aber so weit vo n m meinem Heros der Gesellschaft, als nur geschehn konnte, u. als er nach dem Essen ein geistreiches Gespräch mit ihm anknüpfen wollte, u. ich bange war, er möchte mich blamiren, schob ich einen gewaltigen Riegel zwischen beide, Daub u. Schwarz, die über den Judas Ischarioth gesprächig wurden, u. keinen andern Geist daneben aufkommen ließen. Du hättest mich sehn sollen, alter Truchseß, wie geschäftig als Wirt ich war. Alle saßen um einen langen Tisch, nur ich allein ging ohne Aufhören umher, und sah zu, ob auch die Gläser voll süßes Weins waren. Und wenn jemand mich um sich rief, antwortete ich: "Gleich, gleich Herr!" denn daß man's so machen muß, weiß ich aus Heinrich IV, dessen Küfer u. Kellerjungen ich soeben aus dem Englischen ins Deutsche übertrage. Als 10 Flaschen von uns 20 geköpft waren, dachte ich – mich auf sofokleische Sprüche und die Kern- |9 lehren der 7 Weisen besinnend – nun nichts weiter, wenn noch gepunscht werden soll. Und in wenigen Augenblicken dampfte die erste Bole in unsrer Mitte, nachdem wir die lange Tischreihe in 3 Tischpartien getrennt hatten, damit jeder nach Belieben stehen u. gehen könnte. Dieser Bole folgten zween andere, und ich weiß gar nicht, wie es kam, die Zungen wurden immer beredter, die Schädel feuriger, und gesprochen ist unstreitig mehr als 10 dicke Folianten voll. Ein Pfarrer bat Hegeln, er möchte ihm eine Filosofie für junge Mädchen schreiben, die er beim Unterricht gebrauchen könnte. Der entschuldigte sich, seine Gedanken wären nicht faßlich genug, und vollends mit der Sprache, da würd' es hapern. "Wenn's weiter nichts ist", rief der Pfarrer aus in feurigem Entzücken aus, "dafür ist gesorgt, das muß unser J. P. übernehmen, der weiß Leben zu verbreiten durch Sprache und Darstellung." – "Also so steht die Sache", rief nun J. P. dazwischen, "unser Hegel soll den Geist hergeben, ich soll einen tüchtigen Leib darum ziehn und ein Schmuckgewand, u. dann wollen Sie das Ding zu Markte führen." – Das gab nun Anlaß zu einem Füllhorn von gutmütigen Scherzen; u. Hegel ward so ausgelassen, so frohherzig, so popular (was er auf dem Katheder nicht immer ist), daß wenig fehlte, er hätte die Filosofie sogleich begonnen. Als die dritte Bole aus war, machten ein paar Gäste ein Gesicht, als wenn sie gehn wollten. Geschwind ließ ich die vierte Bole anrücken, u. alles saß wieder. Erst um 12 Uhr trennten wir uns, dann ging jeder zu Hause, einige auf unsicheren Füßen, neben sich selbst. Kurz vor dem Auseinandergehn sagte Hegel auf J. P. deutend, "Der muß Doktor der Filosofie werden", u. Schweins u. ich stimmten ein, baten aber Hegeln um Gottes willen, er solle die Sache doch geheim halten, was wir mit Mühe von ihm erlangten, denn er hatte große Lust, es sogleich auszuschwatzen. – Sonnabend Nachmittag hatte Frau von X. an die 80 Personen auf dem Schloßberg zum Thee geladen, fast lauter Noblesse, unter denen hier, wie in allen Ständen, mehrere recht schofele sind. Eine russische Generalin sagte zu ihrer Nachbarin: sie begriffe gar nicht, was die Damen so an dem Mann zu bewundern und zu bejubeln hätten. Er sähe zwar ganz gut aus, aber so schön wär' er doch nicht. Die andre erwiederte er, es wäre der Geist und das Herz, was geliebt würde. – Schön! vortreflich! also wenn J. P. nur etwas adonismäßiges in Form und Zuschnitt hätte, dann wäre der Generalin alles in Ordnung gewesen. Andre Damen sind heiß verliebt in ihn, am meisten eine mit falschen Zähnen, die mich recht dauert, weil sie keinen einzigen Kuß von ihm empfangen kann. Als wir auseinander gingen, begleiteten Schwarz u. ich unsern Theuern in sein Quartier. Die Nacht nahm schon überhand, da hellte sich mit einmal der Himmel u. die Gasse: ein Haufen Studenten war's, die, mit Fackeln in der Hand, ein lautes Lebehoch riefen "dem unsterblichen Dichter, dem edlen Menschen, dem Züchtiger alles Bösen u. Schlechten." – "Nun, all ihr lieben Menschen", rief J. P. aus, "ihr wollt mich noch mit Liebe ersticken", und stürzte zur Thür hinaus. Ich blieb oben u. sah, wie liebevoll er unter die Jünglinge trat, aber was er sprach, verstand ich nicht. Es sollen herliche Worte voll deutscher Kraft und deutsches Feuers gewesen sein. "Gebt mir all' eure Hände", schloß er, und da drängte sich alles um ihn, seine Hand zu fassen, und das Jubelgeschrei mehrte sich zum lautesten Fortissimo. Er folgte dem Zuge bis auf |10 die Neckarbrücke, dann ward er von den Anführern, unter denen der trefliche Carové war, feierlich zurückgeführt. Als er wieder aufs Zimmer kam, – nein, eine solche Freude hab' ich noch nie erlebt, nie für möglich gehalten, als ihm aus dem seelenvollen Auge, aus allen Bewegungen, aus allen Worten, die er mehr stammelte, als sprach, aus der quellenden Thräne hervorleuchtete. Daß nicht viel mehr gesprochen ward, begreifst Du. Wen rührt nicht der Anblick eines Kindes, dem zum erstenmal zum Weihnachten beschert wird. In solcher Bewegung verließ ich ihn, u. ging wie gestärkt u. gelabt in mein Zimmer zurück. Den andern Morgen um 5 Uhr war ich schon wieder bei J. P., um ihn zur bevorstehenden Neckarfahrt zu wecken. Ich fand ihn noch ganz in liebliche Träume verloren. Die Abendszene hatte sich die Nacht durch in reizenden Fantasien fortgesponnen. "Nein", sagte er, "so was darf ich nur Einmal erleben", u. nun sprudelte er von Neuem die Wonne aus ihm hervor, sich "von der jungen Nachwelt so geliebt zu sehn". – Da die Neckarfahrt noch zwei Stunden über Neckarsteinach fortgehn sollte, und ich bange war, die gar zu lange Wasserreise möchte dem teuern Mann lästig sein, hatte ich den gescheuten Einfall, einen Wagen zu bestellen, der uns bis Neckargemünd fahren sollte. Ich war auch schnell zu Hegels gelaufen, die einzuladen, u. kam hier sehr erwünscht; denn Hegel hatte so eben zu s. Frau gesagt: "mir graut vor der frühen Wasserfahrt, und ich wünschte wohl, einen Wagen zu haben". Kaum war J. P. angezogen, so waren auch Hegels da, und wir stiegen sogleich zu Wagen. Unsre Fahrt war herlich. Bei Hausacker , ein Viertelstündchen vor Heid., vorbeifahrend, sahen wir das große Schif, u. wie von allen Seiten große Körbe voll Eßwaaren u. Wein h in er einströmten, u. die Gäste sich sammelten. Wir winkten mit den Schnupftüchern, u. sogleich erscholl eine frohe Begrüßung. Unterwegs waren wir außerordentlich froh, in Neckargemünd frühstückten wir, nach anderthalb Stunden erst kam das Schif. Unsre Vorausfahrt ward auch wohltätig für die Schifsgesellschaft. Denn wie wir ins Schif stiegen, fanden wir wir einen großen Teil sichtlich ermüdet von der langen Fahrt, aber J. P.s Erscheinung belebte alle mit neuem Feuer, selbst die Feuerlosen. Nachher als die zweite Ermüdung eintrat, und der Hunger obendrein, ward gesteuert durch eine wahre Unermeßlichkeit von Speisen u. vortreffliches Weins. Wir landeten an einer wunderschönen Wiese, u. fingen behaglich zu schmausen an, während der Neckar lieblich ans Schif plätscherte, u. die Vögel aus Wald u. Himmel sangen. Ich kam, nicht weil ich mich vorgedrängt hatte, sondern durch bloßen Zufall, neben J. P. zu sitzen, u. nicht ferne von uns saß der schwedische Prinz. Da sagte er mir: "Voß, eins verdrießt mich, da ich dich so herzlich lieb habe, daß wir uns noch immer Sie nennen; komm, u. in diesem Kusse empfange mein ganzes Bruderherz". Da dachte ich an meinen lieben Truchseß, der so wenig wie J. P. verschwenderisch ist mit seiner Vertraulichkeit, und – ich freute mich. Mein sehnlicher Wunsch war ja erfüllt, aber nie, nie hätte Ich ihn laut werden lassen. Es ist doch wahr, Liebe ist nicht ohne Gegenliebe, u. wem mein Herz kalt entgegenschlägt, dessen Herz ist auch ein Stein für mich. Sympathie und Antipathie sind in der Natur, nach des Schöpfers wohlthätiger Einrichtung, mag mans nun Magnetismus nennen, oder chemische Wahlverwandschaft, oder wie man will. Daß ich J. P. jetzt lieber hätte, als vorher, kann ich nicht sagen, aber meine Empfindung für ihn hat einen andern Karakter. Ich fühle mich ihm näher, ich fühle mich mehr erwärmt von seinem glühenden Herzen. – Wie wir beim besten Essen waren, erschien unser Ludwig (auch Rafael von den Manauern genannt), die Damen vom andern |11 Ende des Schifs hatten ihn abgeschickt. "Herr Jean Paul", sagte er mit seinen freundlichen Grübchenlächeln "ich will Ihre Kappe haben". "Da ist sie", sagte J. P., und gab sie ihm. Der Junge zauderte "Nun mach fort", sagte ich – "Nein, ich muß auch des Prinzen Hut haben". – Der Prinz gab ihn ihm überaus freundlich. Nun zog der Junge davon, und kam gleich wieder, Hut und Kappe mit doppeltem Eichen- und Lyanenkranze geschmückt. Aber J. P. empfing seine Kappe zuerst. Das freute mich von dem Jungen. – Der schwedische Prinz ist ein gar bescheidener Jüngling, dem ichs recht gönnte, einmal unter frohen Menschen menschlich froh zu sein. Nach dem Essen wurden gesellige Spiele gespielt, gejagt, gehascht, geplumpsackt: alles machte J. P. mit, u. alles kleidete ihn, weil nichts schwerfälliges in ihm war. Während das Schif sich zur Zurückfahrt rüstete, machte ich einen großen Spaziergang zu Fuß, und bestieg den Dielsberg. Erst in Neckarsteinach traf ich wieder mit den Übrigen zusammen. Daß wir auf der Rückfahrt nicht bloß gefühlselig, sondern auch ein wenig weinselig waren, wird keiner mehr begreifen, als mein alter Truchseß. Doch keiner überschrit das Maß, ungeachtet die Gespräche immer lauter und feuriger wurden. Man sah nur, wie die Freude mit all ihren Polypenarmen die Herzen umschlungen und umschnürt hielt. Mehrere Schiflein kamen uns entgegen, um J. P. ein Vivat zu bringen, auch Kanonen- oder Flintenschüsse wurden gehört. – Der Montag ging geräuschlos vorüber. Am Dienstag gab Hegel einen Punschsatz, und obendrein einen Plumpudding, der mich, als er in Arrack brannte, lebhaft an Jena erinnerte. Vorgestern Abend ward ich von Munck, Hegel und Schweins aufgefodert, schnelle Fakultätssitzung zu berufen. Es geschah. Nun beschlossen wir, J. P. feierlich zum Doktor zu kreiren. Der einzige, welcher stark dagegen war, war Kollege Langsdorf, aus dem doppelten Grunde 1.) weil es mit J. P.s Christenthum nicht ganz geheuer stünde, 2.) weil seine Moralität auch nicht ganz koscher wäre, sintemalen J. P. gern ein Glas über den Durst tränke, und dadurch – wenn von uns Filosofen so geehrt – den Jünglingen ein böses Beispiel zur Völlerei geben könnte. Auf das Erste erwiederte Hegel mit der größesten Ernsthaftigkeit, aber mit einem Schalk im Herzen, der ihm bei seiner Trockenheit so herlich läßt, u. bewies nun mit einer Beredsamkeit, die mich an ihm in Erstaunen setzte, daß J. P. ein ganz herlicher Christ sei. Auf das zweite erwiederten wir alle, ernsthaft und komisch durch einander, bis endlich dem guten Langsdorf die mathematische Rinde vom Herzen fiel, und er ganz überzeugt dasaß, J. P. sei nicht nur der beste Christ, sondern auch der moralischste Mann, trotz den bösen u. übertriebenen Gerüchten über ihn, die von einem gewissen Dr Hartung ausgestreut sind (Falks Verehrer oder, wie Bürger gesagt hätte, Hansa...ch ), dem J. Paul gerathen hatte, von seinem nüchternen Umgange mit den Musen abzustehn. Ich wollte, Du hättest angehört, wie gründlich ich dem guten Langsdorf den Unterschied zwischen bacchischer Trunkenheit und bacchanalischer Besoffenheit auseinandersetzte. Ich sagte ihm, auch Schillern habe man die letzte vorgeworfen, da er doch nur die erste verschuldet; so auch dem alten Aristofanes, und was noch mehr sagen wollte, dem alten Äschylos, |12 von dem es geheißen, er habe seine Schauspiele im Bacchosrausche geschrieben, was aber lediglich von dem edlen Rausche des Gemüts zu verstehen sei. Genug, unser Senior war am Ende lebhaft für uns, u ich erhielt, als Dekan, den Auftrag, das Diplom auszufertigen. Noch selbigen Abend schrieb ich folgende Worte, die Dir Dein Pastor oder Amtmann verdeutschen mag: Sub Anspiciis ... Nos Decanus, Senior, reliquique Professores ... in virum clarissimum, nobilissimum, generosissimum, Johannem Paulum, Fridericum Richter, Curio Variscum, Serenissimo Hilperhusano Duci a legationum consiliis, poetam immortalem, lumen et ornamentum Seculi, decus virtutum, principem ingenii, doctrinae, sapientiae, Germanorum libertatis acerrimum assertorem, fortissimum debellatorem pravitatis, mediocritatis, superbiae, virum qualem non candidiorem terra tulit, ut dotibus ejus omni concenta consensuque laudis nostrae sublimioribus tribueremus amorem, pietatem, reverentiam, doctoris philosophiae et liberalium artium magistri nomen, privilegia et jura rite honorique causa contulimus etc. Den andern Abend um acht Uhr war das Diplom schon auf Pergament gedruckt, u. ein prächtiges Futeral aus Saffian gefertigt, und in diesem Augenblicke werden Creuzer u. Hegel als Überbringer bei J. P. sein, die ich erkoren, weil ich ihm doch unmöglich meine eigenen Lob hudelei sprüche in die Zähne und in den Bart werfen kann. J. P. habe ich durch ein Billet verpflichtet, grade jetzt zu Hause zu sein. Ob ers ahnt, ich glaube wohl; denn ich mußte von ihm alle seine etwanigen Würden hervorlocken, die auf dem Diplom aufgezählt werden müssen. Ich that das gestern Morgen um 7 Uhr unter dem Vorwande, daß mich manchmal eine sonderbare Neugier plagte, die er diesmal so wohlfeil befriedigen könnte. "Ich bin gar nichts auf der Gotteswelt, als Hildburghäuser Legationsrath". – "Auch nicht etwas, das ins theologische, medizinische und dergleichen einschlägt?" – "Nein". – "Auch nicht Mitglied einer Akademie?" – "Nein, gar nichts als ich selbst." – "Nun denn, leb wohl, meine Neugier ist befriedigt". – Als ich um meine gewohnte Mittagsstunde wiederkam, sah er mich scharf an; ich machte aber den ganz unbefangenen, und von meinem seltsamen Morgenbesuch war weiter die Rede nicht. Was er nun um 18 Uhr sagen wird, soll mich verlangen. – In der nächsten Woche fahren wir nach Weinheim, zu unserm Grimm. Das ist meine Ferienwoche, u. dann will ich ihm auch mehrere ganze Nachmittage schenken zum Genuß des Aristofanes, den er wenig kennt, kennen muß, und bei dem ich ihm glücklicherweise ein lebendiger Kommentar sein kann. Auch meines Bruders gezähmte böse Sieben werd' ich ihm vorlesen. – Witzbrocken verlange um des Himmels Willen nicht von mir, wiewohl ich mit vielen aufwarten könnte. Das Lustigste ist, daß die Witzbrocken J. P.s, wie die herabgerollten Schneebälle, durch das Laufen von Mund zu Munde anwachsen – (u. ein dickangeschwollener Witz ist eben ein dicker u. feister Witz, wie Shakspeare sagt) – oder zu gespensterartiger Unkenntlichkeit verzerrt werden. |13 So soll J. Paul neulich gesagt haben: "Heidelberg besäße alles Schöne, nur die sehnsüchtige Sehnsucht nach der Sehnsucht fehlte." Was der barste Nonsens ist. Ich mache mir drum auch manchmal den Spaß, in J. P.s Namen selbstfabrizirte brillante Gedanken meinem Barbier aufzuheften, der dann redlich sorgt, sie in Curs zu bringen. – Die Studenten wollen J. P. noch einen Kommersch od. Ball oder so was geben. Gut, wenn's nur nicht Händel setzt; denn die sogenannten Deutschen bilden einen ziemlich schneidenden Gegensatz zwischen den Corps oder Landsmannschaften, und was ich einmal hoffe, aller Streit würde sich jetzt in Liebe lösen, war eine sanguinische Hofnung. Unsre geistvollsten Studenten sind alle sogenannte Deutsche unter Carovés Anführung; welcher Carové aus einem überrheinischen Zöllner jetzt ein förmlicher Heidelberger Student geworden ist, und sich unter Hegels Leitung völlig auszubilden trachtet. Ich habe viel Verkehr mit ihm, und finde ihn in jeder Beziehung vorzüglich. Gestern ist J. P. bei Thibaut gewesen, der ihn mit Musik bewirtet hat. Thibaut nämlich ist, seit einem Jahr etwa, Vorsteher eines musikalischen Klubbs, der wöchentlich einmal in seinem Hause zusammenkommt. Dort werden, vielleicht mit einiger Einseitigkeit, bloß italienische alte Musiken, Messen, Requiems, Strabat Mater u. dgl. gesungen, die Thib. mit großem Kostenaufwand aus Italien sich verschafft hat. Thibaut kündigte J. P. erst feierlich an, keiner der nicht Mitglied sei, dürfe Zuhörer sein. J. P. bat flehentlich, daß ihm nur ein Winkel in einem benachbarten Zimmer vergönnt sein möchte, oder ein Platz auf dem Boden, oder, fügte er hinzu, was Sie mir ohnehin nicht wehren können, ein Spaziergang vor dem Hause. Anfangs alles vergeblich. Endlich ließ sich Thibaut doch bewegen, seine Grundsätze zu brechen, u. J. P. ist auf alle Klubbabende feierlich eingeladen. Du siehst, wie lieben wir den Mann haben, sogar Eide u. Gelübde brechen wir für ihn. Übrigens ist J. P. ganz erstaunt, in einem trockenen Juristen so viele Musik zu finden, so viel Eintracht süßer Töne, wie Shaksp. sagt. Bewahre Gott, schon wieder 8 Seiten voll von dem Helden des Tages. Wieder aber, mein bester Truchseß, hat bloß die Feder geschrieben, nicht ich, so wie in einer Scene des Aristofanes bloß die Füße tanzen, u. der übrige Leib unbeweglich ist . – ...

Den 19. Jul. Als ich gestern gestern nach 12 Uhr zu meinem theuren J. Paul kam, fand ich ihn ganz in Freude verloren über die ihm erwiesene Ehre. Er konnte gar nicht satt werden, mich zu küssen. "Alter, Alter", sagte er, "wollt ihr mich denn ganz erdrücken mit Liebe", aber wenig mehr brachte er hervor als dies in abgebrochenen Lauten, u. eine volle Thräne stand in seinem [...] schö nen Auge. Bei seiner kindlichen Bescheidenheit hatte er's nicht geahnt, daß dergleichen im Werk sei, und in dem sonderbaren Abfragen seiner Titel u. Würden hatte er irgend einen gesellschaftlichen Scherz gesucht, und nichts weiter, oder gar geglaubt, ich wäre ein so neugieriger Kauz, als wofür ich mich ausgegeben. "Bin ich doch so lange", sagte er, "in baierschen Landen, und keiner hat mich zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften gemacht ; u. da komm' ich nach Heidelberg, bin kaum ein paar Tage da, u. man macht mich schon zum Doktor, u. so liebe, herzliche Menschen machen |14 mich dazu; nun auf diesem Doktor wird der Segen des Himmels ruhn, und ich will mich breit machen damit!" Den Abend gab Creuzer einen großen Doktorschmaus, wozu auch aus andern Fakultäten Kollegen geladen waren. Das war wieder ein seliger Abend. Schrecklich hoch ließen wir den Doktor leben. Meine Spezialkollegen sagten mir sämtlich, sie wären zufrieden mit meinem Diplom, bloß Langsdorf ist es nicht, der noch immer argwöhnt, J. P. sei kein rechter Christ, worüber Hegel seine königliche Freude hat. Armer Stockmathematiker, der du keine Ahnung davon hast, daß die Religion höher steht, als alle Religionen! Freilich, zu denen gehört J. P. nicht, die Coquetterie treiben mit Christus, u. den Heiligen und dem Gebet, oder mit den von der katholischen Menschheit eingeführten Alfanzereien; aber den will ich sehen, der ein wärmerer Verehrer der ächten, einfachen, biblischen Christusreligion ist als Jean Paul! Ich habe viel mit J. P. über diesen Punkt gesprochen, auch in Bezug auf Fouqué, den seligen Wagner, u. andre religiöse Schriftsteller; u. zwischen uns ist ganz vollkommener Einklang. Ich könnte Dir, mein theurer Truchseß, darüber viel, vielleicht auch interessantes sagen, wenn mir die Zeit reichte, u. der Brief nicht endlich einmal zur Post müßte. – An Frau u. Kinder denkt J. P. unaufhörlich. Das merkte ich am Doktor Abend, als sich zwischen einigen Theologen ein höchst unersprießlicher u. unlogisch geführter Streit erhub über die Begriffe selig und heilig. – Und wenn ich mich todtschlagen lassen müßte, ich wüßte nicht zu sagen, was eigentlich sollte ausgemacht werden, und es kam mir drum höchst komisch vor, als der Streit J. P. zur Schlichtung vorgelegt ward. Wie half sich der? Ohne sich zu besinnen, sagte er: "Der Pabst ist heilig; ich aber bin selig, weil ich ein so liebes Weib, und so liebe Kinder habe. Weil ich selig bin, kann ich nicht heilig werden, aber der heilige Pabst kann auch nicht zu meiner Seligkeit gelangen." Das war ein prächtiger Einfall, einem so unnützen Streit ein Ende zu machen. Denn Du glaubst leicht, daß sich ein lautes Lachen erhub, und alles war dadurch wie mit der Schere abgeschnitten. Einer von den Theologen schien aber nicht ganz zufrieden mit dieser Wendung; desto zufriedener waren Schwarz, Daub und wir anderen. Nun fingen die Leute über derbere Dinge zu reden an, über Dampfmaschinen, Näh- Strick- und Spinnmaschinen, und andre Maschinen, wobei nicht bloß mich – was nichts sagen will –, sondern unsre Sachverständigen, Munck, Tiedemann und andere J. Paul in Erstaunen setzte mit seiner gründlichen Kenntnis von solchen Dingen. J. P. meinte zuletzt: "Da man jetzt in allen Künsten Maschinen hätte, so sollte man Maschinen bauen, die neue Maschinen erfänden, das würde auf umgekehrten Wege neue Künste u. Wissenschaften hervorbringen." J. P. kann manchmal mit seinem Vielwissen an Niebuhr erinnern, aber doch nur sehr von ferne, denn gar vieles ist bei ihm – und wie wäre es auch anders? – von der Oberfläche geschöpft. Ich erzählte der Gesellschaft, was Griesbach ehemals zu mir sagte: Wer einen Kandidaten zu examiniren hätte, sollte ihm einen Band von J. P. geben; – wüßte er den gründlich zu kommentiren, wo wäre er gewiß geschickt. J. P. fragte wohlweislich, ob es Ernst oder Scherz von Griesbach gewesen wäre; ich sagte, ein Gemisch aus beidem. – Auch meine Gesundheit als des Promotors ward getrunken, welche Gesundheit ich in eine Gesundheit der ganzen Fakultät verwandelte, J. Paulen zu Gemüt führend, daß wir auch zu magnetisiren verstünden, sintemalen eine Kraft von uns ausgegangen, u. in ihn eingeströmt sei; woran dann J. P. allerlei Schmeichelhaftes anknüpfte. – Man soll doch nicht vom Teufel reden, gleich kömmt er. Da trit Nägele zu mir, u. bringt eine Petition eines neuen Doktorwürdesuchers mit so vielen Zeugnissen u. d. gl., daß die Sache unfehlbar durchgehen wird. Das setzt wieder 2 Karolinen für mich, und mich in den Stand, J. Paul noch eine Kollation zu geben. Nun muß ich aufhören, denn ich muß zu magnetisiren anfangen. |15 Es ist allerdings wahr, was einige leugnen, die magnetische Kraft dringt in die Ferne. Und wenn in Amerika ein reicher und geschickter Herr am Nichtdoktorsein laborirt, ich will ihn übers Meer hin gesund machen. – Wangenheim meldet mir durch von Dritten, ich solle J. P. dringend, ja auf das dringendste bitten, daß er auch zu ihm nach Stuttgart kommen. Ich werde es thun, aber erst am Tage vor J.P.s Abreise, nachdem wir ihm alle mögliche Zugabetage abgequält haben werden, u. willig überzeugt sind, er kann u. darf nicht länger bei uns bleiben. Wie kann ein gescheuter Mann mit so einer Bitte kommen? In der Liebe ist ja Eigennutz eine unerläßliche Bedingung! Nein, Freund Wangenheim, wer das Kreuz hat, der segne sich, und wer hat je gehört, daß man seine liebe Braut von sich stößt? Alle sind wir verliebt in J. P., und ich Z. B. ließe mich ihm gerne antraun, um ewig mit ihm zu leben, wenn ich nur einen Priester finden könnte; aber auch die Priester hier sind verliebt in ihn, und möchten ihm angetraut sein. —


Vorgestern besuchte mich Aug. Klingemann, von Stuttgart kommend, wo seine Frau Gastrollen gespielt hat. Er ist ungefähr, wie ich ihn mir gedacht hatte, recht gescheut, mit einer ziemlichen Dosis von Filisterhaftigkeit, die ihn auch manchmal in die Poesie einsteigt. Pfui Teufel, wie hat er sich an Cervantes durch seinen Don Quixote versündigt , und an der Poesie durch den Faust! Den Kolumbus dagegen und die Grube zur Dorothea, den Moses und noch einiges halt' ich in Ehren. Von den Schillerianern ist er wohl der beste. – Neulich war Herr v. Schütz, Verfasser des Lacrymas, bei mir. Dem hätte ich zurufen mögen, was ein Dänischer Kammerherr Klopstocken, den er in der Antichambre fand: "Hol mich der Teufel, Sie sprechen ja ganz vernünftig!" Der sitzt noch ganz in dem romantischen Taumel von vor 21 Jahren, u. die Menschen schätzt er ihrem geistigen Werth nach, insofern sie Schlegeln oder Tiek mehr oder weniger nahe stehn. Glaube aber ja nicht, daß ich drum über ihn spotten will. Im Gegentheil, ich halte ihn für einen geistreichen Mann, einen wahrhaft dichterischen Kopf, der aber nach meiner festen Überzeugung auf Irrbahnen schweift, nicht unähnlich der alten seligen Angedenken, die als sie von der Bremse gestochen war, in allen Kreuz- und Querzügen romantisch die Welt durchstrich. Über Gegenstände des Lebens spricht er sehr gescheut, u. in gewählten, doch nicht gesuchten Ausdrücken. Von Tiek erzählte er mir vieles. Der ist gegenwärtig in London, um den Shakspear an der Quelle zu studiren, und treib das mit gewaltigem Eifer. Er hat alle Zeitgenossen u. Vorgänger u. nächsten Nachfolger Shaksp. durchforscht, und hat so die ganze Zeit, worin Shaksp. lebte u. wirkte, in sich lebendig gemacht, und zwar so im Einzelnen, daß er von jedem Kleidungsstücke, jedem Hausmobil u. dgl. Rechenschaft zu geben weiß. Das ist vortreflich! Ich möchte wohl Tiek zur Seite leben, und als Shakspearübersetzer ihn benutzen können. Wie dem guten Lacrymas mein Shakspeartreiben behagt, erfuhr ich nicht recht. Aber denken kann ichs, daß er mich eine gute Stufe unter Schlegel setzt. Von Gries Calderon sagte ers geradezu, und so im Vorbeigehn, als eine Sache, die auch bei mir sich von selbst verstände. Hätte ers vom Shaksp. der Vosse gesagt, ich hätte kein Wort erwiedert. Beim Calderon aber packte ich zu, u. forderte eine Erklärung u. genauere Erörterung seines Ausspruchs. Und glaubst |16 Du, daß er die zu geben im Stande war? Der so gewandte u. scharfsinnige Mann wußte nichts, als sich flüchten in ganz unbestimmte Redensarten, deren er kaum den Schein einer Aufstützung zu geben vermochte. Gleich anfangs mußte er mir zugeben, daß Gries bei weitem verständlicher u. fürs Gefühl eindringlicher sei, wogegen er sich vergebens mühte ein gewisses mystisches Dunkel zu preisen, das bei Schlegel die Fantasie so wohlthätig romantisch anregte: ich machte nämlich gleich den scharfen Unterschied zwischen dem mystischen Dunkel des Inhalts, das allerdings manchmal bei Calderon sich findet, am meisten in den Stücken religiösen Inhalts, und dem mystischen Dunkel des Ausdrucks, wenn der Sinn bei Calderon auch dem prosaischen Verstande klar sei. Und hier klagte ich Schlegel scharf und strenge an, daß er lange nicht den Fleiß auf die Darstellung verwandt habe, wie Gries, bei dem doch nirgend ein mühseliger Fleiß sichtbar, sondern das Mühselige durch die größeste Kunst verdekt u. versteckt worden sei. Er meinte, der Zweite Theil von Gries könne wohl höher stehn, als der erste; jenen kenne er so genau nicht. Das gab ich zu, behauptete aber nun, die Stanzen auch im ersten Bande wären das musikalischste, und – wofern man nicht an einzelnen Ausdrücken mäkeln wollte – das schärfste, bestimmteste, was unsre Sprache in diesem Fach aufzuweisen habe.

Sei vorsichtig mit diesen Briefen, wer sie auch lesen möge. Es sind traute, unverhohlene Herzensergießungen. Abraham Voß.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Christian Truchseß von Wetzhausen. Heidelberg, 9. bis 19. Juli 1817, Mittwoch bis Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1337


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Textgrundlage

H: BSB, Vossiana, 46
4 Dbl. 4°, 15½ S. Über dem Brief späterer Vermerk des Empfängers: Sei vorsichtig mit diesen Briefen, wer sie auch lesen möge. Es sind traute, unverhohlene Herzensergießungen. Abraham Voß.

Überlieferung

D: Persönlichkeit, S. 160–173, Nr. 208 (unvollständig).