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Meiningen den 30n Mai 1805.

Mein verehrungswürdiger Herr und Freund! Es folgt hierbey das MSC. der reißenden Maler zurück. Um nicht unnöthige Reisekosten für den 2ten Band zu machen, will ich diesen vorher völlig fertig machen, ehe ich Ihnen denselben sende.

Was den ersten betrifft, so hoffe ich, daß Wilibald mich über einige Ausstellungen welche Sie am gegenwärtigen Werke machen (und für die ich Ihnen meinen wärmsten, innigsten Dank sage) wo nicht rechtfertigen, doch versöhnen werde. Einiges Andere habe ich nach Ihrem Wunsche geändert. Allein die Derbheit, die Ihrer feineren Erziehung undelikat erscheint, und mehr im Ganzen als in den einzelnen Punkten liegt, vermag ich freylich nicht zu ändern, da mein ganzer Mensch überhaupt ziemlich derb ist. Ich erkläre mich übrigens im zweyten Bande über die Derbheit selbst. Nach meiner Meynung ist nemlich der Geschmack ungerecht und höchstverderblich, welcher die in freye Worte gefassten unschuldigen Handlungen und Gesinnungen gern tadelt, und die in feine Wendungen und Gemälde gebrachten verführerischen üppigen pp Gedanken und Situationen gerne (und noch im vorigen Jahrzehend bekanntlich gern bis ins Unendliche) verzeiht, sonach aber sich immer mehr von der ächten Griechheit entfernt, deren höchster Reiz eine freye, schuldlose Natürlichkeit war. Im Übrigen ist es freylich ein sehr gewagtes Unternehmen, einen Schwätzer und einen Fallstaff idealisiren zu wollen, welches ich wohl einsehe, aber nicht mehr zurückzuhalten vermag. Doch hebt sich Fink sowohl als Lenz (welche auch blosse Nebencharakter sind) gegen das Ende wieder. –

Meine Ansicht vom Landvolk ist keinesweges die, welche Fink äussert ; allein (so wie überhaupt des Autors eigener Glaube im Romane nirgends sichtbar werden darf.) allein ich gestehe, daß ich eine weniger blühende Ansicht vom Bauer habe als Sie, welche vielleicht aus allerley geschöpftem Ärger während funfzehnjähriger Gütheradministration drey grosser Güther in Franken und Sachsen (wobey mir fast nichts als die eigenhändige Saat erlassen war) herrühren mag. – Lieber Gott, der Bauer in der Nähe grosser Städte ist eben ein – Städter, gegen die eigentlichen Bauern Sachsens, Frankens und vollends Baierns gehalten! Daß aber die tiefgekostete bitterste Hefe des Landlebens mich nicht von seiner Wahrheit und Schönheit zurückbringen konnte, beweist wohl Wilibald deutlich genug, und es geht auch übrigens natürlich zu, da ich – der Sohn eines sehr fühlenden Landgeistlichen – unter Bauern aufgewachsen bin, die mir ewig werth bleiben, deren derbe Kraft mir aber auch ewig anhängen wird. |2 Es freut mich aber, daß Sie in den Malern doch schon weit mehr Geschmack finden werden als in Wilibalden, wenn Sie erstere, sobald sie gedruckt sind, nochmals durchgelesen sich die Mühe nehmen wollen.

Je eher ich nun die Nachricht vom Anfange des Drucks erhalte, je lieber ist es mir.

Darf ich denn nun meine vorige Bitte, ihrem zweyten Punkte nach, ganz gehorsamst wiederhohlen, und Ewr. Wohlgeboren um 100 rth. bitten, die ich gern den 24n oder 30n Jun. hätte? – Wenn es irgend mit Ihrem Geschäftsgange vereinbar ist, so schlagen Sie mir dieselbe nicht ab. Aber werfen Sie auch keinen Groll auf den Zudringlichen. Die Zeit ist wahrhaft schlimm –

Der Herzog von Gotha hat mir ein Präsent mit seinem Romane gemacht, worinn ich aber bis jetzt nur geblättert habe. Ich wäre sehr begierig auf Ihr Urtheil darüber, und will Ihnen auch das meinige sagen.

Leben Sie wohl, wohl, mein edler Freund! Der Himmel erhalte Ihnen Gesundheit und Frohsinn! Ewig

Ihr

treuer
JEWagner

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Georg Joachim Göschen. Meiningen, 30. Mai 1805, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1040


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Textgrundlage

H: DSBM Leipzig, Bö-GS/A/Wagner, J. E./Brief 5 : Kasten 14
1 Bl. 8°, 1¾ S.


Korrespondenz

Auf S. 2 aoR mittig Präsentat: Meiningen d 30 May. 1805 | Wagner