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D. d 26 Decbr. 99.

Ew. Wohlgeb. muß ich die Sache von Herrn Wachsmuth , wie ich sie erhalte, wieder zurück senden, da ich, nach dem Sinne der Mus. Zeitung, zu keinem mittheilbaren Urtheil darüber kommen kann.

Was die Erinnerungen von Seiten der Redaction derselben betrift, so versteht es sich von selbst, daß ich mich darüber nichts weniger, als beleidigt fühle wenn der Ton allarmierend gewesen ist, so werde ich ja wohl nicht der Einzige gewesen seyn solln, der damit gemeint ist; auch gehört es zu den ungezweifelten Rechten einer Red. auf das zu sehen, was ihrem Blatte Haltung giebt. Ich bin selbst in dem Falle eines mus. Redakteurs gewesen u weiß am besten was man alles dabey zu bestehen hat. Der weisen Rathgeber, der Quärulanten, der Opponenten giebt es nirgend mehr als unter den mus. Kunstgenossen u sogenannten Kunstfreunden. Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie unter diesen letztern nicht auch einen gewißen Ex-Cantor u Organist Schlimbach von der Oder her zählen sollten, der einer der unverschämtesten Weisen dieser Art ist, u von dem ich wünsche, daß weder die Redaction noch die Verlagshandlung seine treuherzige Zudringlichkeit zu bereuen haben möge. Auch bekannte Künstler wie Kunstgelehrte haben mich wegen des Tons der Recension gequält, ganz würdige Leute in ihrer Art, die aber jedes dreiste Wort, was gerade zum Ziele will, erschrecklich finden, weil sie selbst gewohnt sind, [...] Alles in lauter Schweigen zu bezahlen.

|2 Und doch sollte eigentlich über den Ton der Urtheile (wenn nun Inurbanität u Grobheit daraus verbannt bleibt) nichts gesagt werden dürfen, weil jeder am besten wissen muß, wie rund oder wie eckigt etwas repräsentirt werden kann – „Jeder Tadel, jeder Spott (sagt unser Altmeister aus Wolfenbüttel) den der Kunstrichter mit dem kritisirten Buche in der Hand gut machen kann, ist dem Kunstrichter erlaubt, auch kann ihm niemand vorschreiben, wie sanft oder wie hart, wie lieblich oder wie bitter er die Ausdrücke wählen soll. Er muß am besten wissen, welche Wirkung er damit hervorbringen will. “ – daß ich nun wirklich mitunter etwas scharf einschnitt, hat theils seinen Grund, außer meiner Überzeugung von der besten Kurart der Stümperey, in dem Totaleindruck, den die unaufhörliche Ansicht v. so vielem Schlechten gewährt (denn wie viel Gutes vermögen Sie denn zu dem Urtheile zu stellen?) theils aber wirklich mit in der freundlichen Aufmunterung, die ich von der Dr. Härtelschen Verlagshandlung einiger ihrer Artikel wegen selber erhielt, wo nach ihrem eignen Vorschlage ein eigener ausdrückliches Beispiel von Unpartheilichkeit aufgestellt und kein Ingrediens gespart werden sollte, selbst Hohn und Bitterkeit nicht (ich zitiere die eignen Worte.) um die Überzeugung davon hervorzubringen. Ich bin wirklich in einem eigenen Falle gegen die Redaktion. Sie will – u niemand kann ihr das Recht streitig machen zu wollen, was sie will – daß über das Schlechte Nichts, u über das Mittelmäßige nur wenig gesagt werde, u ich glaube, daß sich aus dem Schlechten mehr lernen, u daß sich mit mehreren Anteilen unsres Geistes in Sache reiner Kunst darüber sprechen läßt, als über das frostige halbirte Zeug, wie ich in der Erklärung gegen Herrn Carl Weise habe sagen müssen . Die Red. glaubt mit Vermögen, mit dem nackten Urtheile davon zu kommen, u sie hat doch an meinem Falle mit besagtem Weise gesehen, wie die [...] Leute immer nach Gründen der Urtheile sogar inquisitorisch fragen. Bücher machen gegen Kunstprodukte einen großen Unterschied. Das Mittelmäßige kann |3 dem Inhalte nach, so schlecht auch sein formaler Werth sey, noch immer Stützen bringen u sich viel Gutes darüber sagen laßen; aber was in einem Kunstprod. nicht wenigstens gut, dem ersten untersten Grade nach ist, es entferne sich auch noch von dem Ideale des Vortreflichen u Meisterhaften, das verdient keine Beachtung, eine geringere wenigstens, als ein solches, das durch den direkten Kontrast das Gute mit seiner absoluten Regel ersehen läßt, abgerechnet, daß es grade durch die Beimessung, welche der Witz dem Urtheile darüber bey zugesellt, der Lektüre eine größere Unterhaltung giebt. Ich muß also gestehen, ohne mir grade Witz anmaßen zu wollen, daß ich aus wiklichem Interesse für den Gang u das Schicksal der Zeitung, wofür die ich nun Proben genug gegeben zu haben hoffe, manchmal absichtlich bey einer Kleinigkeit länger verweilte, als ohnedies geschehen seyn würde. Was die Notenbeispiele betrift, so sind sie zwar ein der nöthigsten Ausstattung eines kritischen Instituts u die Handlung verdient. Dieserhalb wirklich vielen dank, daß sie bisher so freigebig (allerdings wohl in manchem Betracht zu freigebig) damit war; allein ich glaube darin ziemlich ökonomisch zu Werke gegangen zu seyn u, sollte ich fernerhin für die mus. Zeitung etwas liefern, so würde auf diesen Wunsch der Redaction ganz natürlich Rücksicht genommen werden. Zu ihrer Rücksicht bitte ich Sie sogar, meine Noten zum Chor des Schillerschen Liedes mit dem, was dazu gehört, nur gradeweg zu streichen, falls die Anzeige davon noch nicht abgedruckt seyn sollte. Seit langem habe ich kein Blatt der Zeitung gesehen.

|4 Noch bin ich so frey, mich mit der Bitte an Sie zu wenden, daß sie doch so gefällig seyn möchten, ohne weitere Beschwerniß, mitkommendes Werk v. de Drosser , das mir durch die Dr. Härtelsche Handl. empfohlen u verschrieben wurde u das ich, seines Unwerths für mich wegen, gar sehr theuer, theurer als meine Umstände es mich verschmerzen laßen bezahlt habe u womit ich bey gedachter Handl. in Rückstand bin – also daß sie so gütig seyn möchten, es gelegentlich irgendwo verkäuflich zu machen u in eine leipziger Bücherauktion zu geben, wozu hier gar keine Gelegenheit ist. Mädchen kann man hier an Prinzen verkaufen, aber Bücher an keinen Menschen. Verzeihen Sie wenn Sie diese meine Bitte zudringlicher finden sollten, als ich vermöchte u überzeugen Sie sich von meiner aufrichtigen Hochachtung.

Ihr ergebener

Carl Spazier.

Zitierhinweis

Von Karl Spazier an Friedrich Rochlitz. Dessau, 26. Dezember 1799, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0825


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Textgrundlage

H: SBB, Darmstaedter 2a 1788Spazier, Johann Gottlieb Karl, Blatt 1-2
2 Bl. 4°, 3½ S. Auf S. 1 über dem Brief von Spaziers Hand: Herrn Magister Rochlitz