Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Bayreuth, 25. Februar 1805, Montag

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Baireuth den 25ten Februar.
1805.

Mein Vater!

Unter ganz anderen Umständen sende ich Ihnen diesen einliegenden Brief heute, der vor 10 Tagen die Reise nach Leipzig gemacht hatte, und der heute in einem unerbrochenen Einschlus an unsere Heilige, Seelige , durch Mahlmann wieder zurückgeschikt wurde. O begreifen Sie es, und können Sie es faßen, was wir verloren haben! Die Beste Ihrer Töchter, die Würdigste vor Gott zu stehen.

Dis schreckliche Schiksal hatte ich mit keinem Gedanken geahnet – zwar war unser Briefwechsel schon seit 4 Wochen unterbrochen, doch rechnete ich auf der Himmlischen Aufopferung für die unglükliche Minna ihr Schweigen gegen mich, der sie sonst fast alles sagte, und beruhigte mich damit.

Mich traf die Nachricht ihres Todes früher, als die ihrer Krankheit, weil ein Zufal mir die erstere in die Hände spielte, die ob gleich mein Mann alle Vorbereitung getroffen hatte, daß ich durch ihn, beide almählig erfahren solte.

|2 Sie wißen, wie wir uns geliebt haben, mein unglüklicher Vater, Sie allein können es ganz fühlen, wie ich diese Schwester beweine, und doch nicht – denn Sie wißen nicht, wie sie für mich als Mutter gehandelt hat – wie sie troz der weiten Entfernung für mich sorgte, und der geringsten Erleichterung dachte, wenn sie mich leidend wußte.

O wie möchte ich zu Ihnen fliegen, und Ihnen alles sagen, wie herrlich wie edel wie besonnen sie für alle Punkte ihrer Thätigkeit war. Sie nimmt meine Bewunderung bis zum Himmel hinauf und das höchste Ziel meiner moralischen Bemühungen kann nur seyn: ihr ähnlich zu werden.

Was muß Minna fühlen, sie war auch krank, das erzählte ein Fremder, aber sie beßert sich – ich höre nichts von ihr, doch hoffe ich, daß sobald sie gesund ist, sie mir die Hand über dem Grabe der Verklärten reichen wird, die ich dann auch festhalten, und nie wieder fahren laßen will – wenn gleich meiner Ernestine |3 Verlust mir nie ersezt werden kann, denn so selbstvergeßend hat noch nie eine Schwester geliebt.

Wie unglüklich bin ich, daß ich alles dies mir so nahe angehörten, in so weiter Entfernung verlieren veloren muß habe . Daß ich nichts den Trost habe, an ihrem Krankenbette zu wachen, und ihren letzten Atemzug aufzuküßen – So verlor ich meine Mutter, unsere Auguste , u jezt wieder, meine Tine! Ach und diesen Trost etwas zu ihrer Erleichterung beigetragen zu haben, darf ich nicht haben, da er mir so wohlthun würde.

Ich kann heute nichts weiter hinzusezen, denn ich bin blos von diesem Schmerz erfüllt. Es ist schreklich! Schreiben Sie mir bald geliebter, Einziger Vater laßen Sie uns fest zusammenhalten, und wo möglich uns bald Wiedersehen – doch welch ein Wiedersehen wo die Einzige, Liebste fehlt, und was wir immer gemeinschaftlich feiern wolten! Gott stärke Sie! Ihre liebenswürdige edle Frau wird Sie trösten – grüßen Sie, Sie sehr.

Ihre
Caroline
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Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Bayreuth, 25. Februar 1805, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0603


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 3 S.