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B. 14 Aug. 9.

Beste Antonie!

Ohne meine deutsche Hand sollen Sie das arme Deutschland nicht verlassen und die freie Schweiz betreten .

Wenn schon immer die Schweiz nicht mehr so frei ist, wie sie's war; das alte Verhältniß zu uns ist ihr bei ihrem erlittenen Raub und bei dem unsrigen, dennoch geblieben.

Sie gehen zum Patriarchen Pestalozzi , ich soll auch hin, mehrere meiner Freunde wollen es; aber die gebietende Allmacht verbietet es mir und ich will ihr gehorchen, weil ich muß.

Meinen Freund Thieriot, mit seiner Freundin E. H. werden Sie in Yverdon finden und diese zwei, eben so eigene[...] als edle Menschen, mit meinem Namen grüssen.

Mir sollen Sie – das wag' ich zu bitten, nicht – einen genauen Bericht |2 wie Sie über diese Anstalt denken, wie Sie sie gefunden haben werden, nicht schreiben; aber das wünscht' ich lesen zu dürfen, was Sie darüber für sich aufbewahren, auf dem Papier, und wieder schicken zu können.

Ich habe Zutrauen zu Ihrem Blick, zu ihrem Ernst, zu Ihrem Willen und zu Ihrer Kraft.

Mir scheint diese Anstalt jetzt schon zu vielköpfig und dadurch zu vielseitig zu werden.

Der Schöpfer dieser natürlichen Idee kann sie nicht ausdrücken, noch weniger so ausführen, wie sie Gott in ihm werden ließ.

Er bedarf der Köpfe mehr zu Lehrern, weil deren als Zöglinge er zu viele hat und verliert dadurch seines Sinnes Einheit.

Guter Eltern Zucht, zieh' ich dern besten Anstalten die meistens den Zögling verunstalten – weit vor: jenes ist Na- |3 tur, dieses Kunst.

Wie schwer wird den guten Eltern diese Zucht, wie selten glückt sie ihnen und doch wollen Künstler dieß schwere Geschäft an Hunderten sich erleichtern?

Bewachet, ihr Eltern, das Aug, das Ohr und den Mund Eurer Kinder vor Bösem; ladet dem Kinde, d.h. dessen Kopf und Seele Unnöthiges nicht auf und ist der Knabe 15 u das Mädchen 13 Jahr: so überlaßet demn Menschen nun sich selber, seiner eignen Erziehung.Nur unsichtbar, wie Gott Euch, bewachet, beschützet und leitet das Unsehbare in eurer Menschenpflanze noch – bis sie selber und damit sie säe und pflanze wieder Gutes – in Gott.Bevor aber – das ist mein Glaube – die besten Anstalten dem Menschengeschlechte noch fehlen, ich meine die genaue Übereinstimmung des Willens zwischen Mann und Weib, zwischen Vater und |4 Mutter – so lange wird es mit dem Erziehen – bei aller Kunst – nicht weiter kommen, als es gekommen ist bei uns.Allein das Beste ist – das ist mein Trost – daß an des Menschen Zucht das Meiste gelegen und diese, selbst bei dem geringsten Stande – wenn auch gering – angewendet immer wird und an dessen Erziehung – von außen hinein – an sich weit weniger.Die so genannte, hochgepriesene Erziehung kann weder das Höchste herausziehen, noch deren Unterlassung es ersticken oder noch weniger vernichten.

Lasset dem kleinen, wie den großen Menschen Freiheit des Geistes und sie werden sich, schon erziehen.

"Laisses nous faire " sagten die Kaufleute zu jenem franz. Minister , als er ihnen Verschläge zur Verbesserung des Handels abverlangte, u so können auch die Menschen zu ihren Erziehern sagen.

Gottes Segen sei die beständige Begleitung auf Ihrer Reise. Der Schwester und Amanden antwort' ich bald.

Heute grüß' ich sie u den Schwager.

Ihr, Sie hochachtender
Em.

Zitierhinweis

Von Emanuel an Antonie von Mützschefahl. Bayreuth, 14. August 1809, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0283


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