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Geliebte Freundin.

8 Tage habe ich durch großen Kampf hingehen lassen ehe ich die Feder ergriff um Ihnen zu antworten verlangen Sie aber nie mehr von mir – ich könnte das Verlangen nicht erfüllen – ich sagte Ihnen schon daß die Lectüre geistreicher Briefe, hier die einzige Seelenunterhaltung wär – die mich erhalten könnte – Sie sprechen in Ihren Briefe so unbarmherzig die Hungersnoth und theure Zeit über mich aus – indem Sie mir von vierteljahrlangen Pausen sprechen daß ich diese Grausamkeit gar nicht mit der so bekanten Herzensgüte zusamm reimen kann, welche Sie charakterisirt. – Habe ich an Sie geschrieben so habe ich doch wenigstens die süße Erwartung – wollen Sie mir aber auch etwa größere Termine setzen, als ich dieses mahl mit der größten Anstrengung hielt – so erkläre ich öffentlich die gerühmte Herzensgüte für Null und nichtig! – wonach sich zu achten. |2 Sie spotten meiner – theure Caroline – indem Sie sagen ich sollte darüber nachdenken – daß ich könte für das Publicum schreiben – ich komme sogar auf die Gedanken daß Sie mich glaubten mit diesen Nachdenken zu beschäftigen – und so meiner auf einige Zeit los zu werden – aber nein – so leicht geht es nicht – diese Nuß ist mir nicht hart genug – sie hat auch nicht die gehörige Größe um mir den Mund zu stopfen – denn mit den Nachdenken bin ich gleich fertig – so lange ich mein Buch nicht in Sammt und Gold einbinden lassen kann um die Exemplare zu verschenken – so lange bleibe ich ganz ganz still hier in meinen Altenburgerstift – bin und bleibe ein Schulknecht – und bewundere bloß andere Schriftsteller ohne ihnen zur Folie – und wer weiß wie vielen, zur folie zu dienen. – Meine Zufriedenheit dauert noch immer fort hier in meinen Umgebungen. – Sie schreiben |3 so schön über das Verhältniß der Freundschaft zwischen Mann und Weib, daß auch ich es schöner und erhabener finde als die Liebe selbst. – Wie leicht ist aber der Schritt von unbegränzter Achtung und Freundschaft zur Liebe gethan! – Sie nennen mich glücklich doch eine Seele unter den Seelenmaschinen gefunden zu haben – ach ja – ich bin es auch – und diese Seele im vollen Sinne des Wortes veredelt die meine. – Hhd – eben die Seele – ist ein großer Botaniker – ich höre bey ihn mit der ersten Classe Botanik und freue mich immer herzlich auf diese Stunde – und studiere Tag und Nacht – um vor den Lehrer nicht mit Schande zu bestehen. – Fürchten Sie aber nichts für mein Herz, geliebte Freundin – es ist schon – freylich nicht ohne Gefahr und Angst – über die Sandbank – die doch immer bey der Freundschaft zwischen Mann und Weib zu fürchten bleibt – die Liebe – lachen Sie mich nicht aus – verdenken Sie mir noch weniger meine Aufrichtigkeit gegen Sie! – – ja – ich habe mich selbst überwunden, und bin – nicht von Freundschaft zur Liebe – sondern im |4 Gegentheil von dieser, durch harten Kampf zu jener übergegangen. – Werden Sie mir böse daß ich mich Ihnen so zeige wie ich bin – schwach! — Nein nein – Sie verstehen mich – Sie nennen sich ja meine Seelenschwester – und eine Schwester verzeiht und übersieht so gern die Fehler der geliebten Hälfte. – Ich umarme Sie innig! —

Von der Erlaubniß die Sie mir am Schlusse Ihres schönen Briefes so uneigennützig geben – Ihren Richter so viel zu küssen wie ich will – mache ich sogleich Gebrauch – ich lasse ihn, den lieben einzigen großen Mann und Geist aber nicht mehr die Küsse durch Sie übertragen – sondern wende mich, wie figura zeigt, gleich selbst an ihn –

Ich küsse im Geiste Ihre Kinder alle, und empfehle mich der Fr v Dobernick und Otto . – welche Physionomie hat denn das neue literärische Kind der M. O – Sie nennen mir seinen Namen damit ich auch seine Bekanntschaft mache. –

Ewig Ihre

Caroline E

Altenburg
den 19 July
1810

Erkundigen Sie sich, geliebte Freundin – doch ein mahl nach den armen alten Candidat Kienert – seit dem die Clauer in Tarnau ist – ist er recht ganz verlassen?

Zitierhinweis

Von Caroline von Ehrenberg an Caroline Richter. Altenburg, 19. Juli 1810, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0161


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 4 S.