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Korrespondenz

Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 29. Mai 1813.

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[ Bayreuth, 29. Mai 1813 ]
325,5

Ihre vier Briefe eines guten und überwogenden Herzens hab’
ich empfangen. Ihren Namen errieth ich — und sogar ein Freund
von mir — in der ersten Stunde. Der dahin gegangene edle Vater
ist dieser guten Tochter werth; aber möge er, den die Erde nicht
belohnte, jetzo von ihr belohnt werden, wenn er vom Himmel herab325,10
sieht auf seine Tochter voll reiner Gluth. Gleichwol würd’ er
wünschen: „irgend ein guter Mensch nehme meine liebe Marianne
„an Tochter statt als geistiger Vater an — er stille ihren Sturm
„auch im Guten, der nicht erwarten kann — er sage ihr, daß im
„wirklichen Leben, am meisten in der Ehe, am stärksten bei dem325,15
„weiblichen Geschlecht jede auch unschuldigste Heftigkeit in die
„Dornen und Dolche der Erde stürze — daß sogar der mächtigste
„und heiligste Mensch des All sanft, mild, und ruhig war, nämlich
Christus — er sage ihr, daß sie in ihrem Innern fliegen dürfe,
„aber mit ihrem Äußern nur schreiten müsse und daß sie zwar ihr325,20
„Herz dürfe auflodern lassen in ungemeßne Flammen, daß sie aber
„nicht eher handeln solle als später, wenn die Gluth schon Licht
„geworden — einen solchen geistigen Vater wünsch’ ich meiner
„guten Marianne, der ihr es sage.“ Und hier hast du ihn, liebe
Tochter, und ich hab’ es dir gesagt. Deinen Traum, zu mir zu 325,25
kommen, hab’ ich sogleich wachend ausgelegt. Verlasse deine
Mutter nicht. Ich komme wahrscheinlicher nach Mainz als du
hieher. Ich liebe dich. Ich und meine Frau grüßen dich. Bleibe
immer so gut, meine Tochter!



Dein Vater325,30
Jean Paul Friedrich Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 29. Mai 1813. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_759


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 761. Seite(n): 325 (Brieftext) und 557-558 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (von Emmas Hand! mit eigenh. Korrekturen): An Marianne Lux [nachtr. in Mainz] 29 Mai. i: Wahrheit 7, 335 (undat.). B: IV. Abt., VI, Nr. 224. 325,12 . 24 Mariane 31 Friederich

Maria Anna (Marianne) Lux, geb. 1. ? (get. 2.) März 1787 auf der Donnermühle bei Mainz als ältere Tochter des Adam Lux, dessen tragisches Ende unter der Guillotine (4. Nov. 1793) Jean Paul in seinem Aufsatz über Charlotte Corday erzählt hatte (I. Abt., XIII, 333ff.), war angeblich schon in ihrem zehnten Jahre mit Jean Pauls Schriften bekannt geworden und hatte damals bereits in kindlicher Begeisterung an ihn geschrieben. Ihre Briefe an J. P. sind leider nicht erhalten, haben aber Ernst Förster noch vorgelegen, der einiges daraus wörtlich, anderes inhaltlich wiedergegeben hat (Wahrheit 7, 326ff.). Im Mai 1813 hatte sie an J. P., der neben ihrem Vater ihr höchstes Ideal war, in rascher Folge vier leidenschaftlich-schwärmerische Briefe geschrieben, den ersten anonym, die folgenden mit Namen und Adresse. In Worten rührender Liebe und Verehrung hatte sie gebeten, ihn Vater nennen und als Magd in sein Haus kommen zu dürfen, auch bereits den Wunsch angedeutet, zu sterben, um im Tode mit ihm vereint zu werden. Richard Otto Spazier teilt in seiner Jean-Paul-Biographie, 5. Bd. (1833), S. 208, einiges aus Jean Pauls Entwürfen zu Briefen an Ma rianne Lux mit, die sich unter den Vorarbeiten zum Kometen fanden.