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Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 15. Juni 1812 bis 17. Juni 1812.

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277,7
[ Nürnberg. 15. (?) Juni 1812 ]

Ich danke dir, liebe Karoline, für die Eiligkeit des zweiten Briefs,
so wenig ich auch Besorgnis über Odilie hatte. Eine hätte ich von 277,10
deiner Aufschrift erhalten können, „wird um schnelleste Beföderung
gebeten“, als ob die Post, oder so vielerlei Posten aus ihrer Regel
eines Unbekan[n]ten wegen heraus könnten. — Ich bin ganz gesund;
und hier versuch’ ich die längste Entbehrung des Opiums (schon
die 10te Woche). Ich bin froh, aber nur durch Bücher und Ein277,15
samkeit; ich erhalte viele männliche Besuche, geb’ aber meines
kranken Fußes wegen in meinen Schuhpantoffeln, nur wenige; und
gehe abends nicht aus. Mein Souper besteht in (holländischem)
Käse, oder Preßsack (hier zehnmal besser als in Baireuth) oder
einigen Kartoffeln mit Butter. Ich lebe hier wolfeiler als in B.; 277,20
1 Loth Kaffee, 1 kr. Milch, — an 11 kr. braunem Zucker 〈Farin
Zucker (4 Loth)〉 hab ich bis zur Abreise — 24 kr. das Mittags
essen — der bessere Wein als in B. kostet 48 kr. und wird nicht
täglich ausgetrunken — 4 Loth frische Butter kosten 6 Pfenn.,
3 Bündel Rettiche 1 kr. — Dabei das köstlichste Brod. — Mit Ein277,25
schluß der Herreise, des Fuhrmanns und der Wirths Rechnung und
der Trankgelder — und deines Kleides, das 12 fl. rh. kostet, hab’
ich bis heute 〈in 15 Tagen in allem〉 50 fl. ausgegeben. Nach Ver
hältnis gabst du in 8 Tagen — ungeachtet deiner kärglichen Nahrung
— mehr aus, nämlich 10 fl. bei Vorräthen noch dazu und 26 fl.277,30
in allem bei den größern Ausgaben. Also als Witwe brauchtest
du über 500 fl. nach der einen Rechnung und die großen Ausgaben
dazu genommen 1352 fl. jährlich. Ich habe mich oft selber in Haus
haltrechnungen belogen und immer gesagt: „dieß sind ja nur die
großen Ausgaben.“ Aber zum Unglück kommen auch die großen277,35
immer wieder, nur unter andern Formen, z. B. als Hauszins, Ab
gabe, Holz, Kleider etc. etc. Versuche nur einmal, aber nicht obenhin278,1
rechnend, wie viel du als Witwe, zumal bei größern Kindern,
nöthig hättest. — Nur ganze Laubthaler, keine halben gib aus;
jetzt in der Krisis stehen sie gerade am schlechtesten und Ottos und
Samelsohns Rath taugt nichts, so wie seiner wegen Emma über 278,5
Sackenreiter. Soll ich denn mein Bischen Geld — da ich jetzt
keines einzunehmen habe — ausgeben, um von Emanuel mir wieder
verborgtes zurück zahlen zu lassen? — Unbeschreiblich wolfeil und
frühzeitig sind hier Gemüser (z. B. längst Gurken, Erbsen, Kohlrabi).
D. Eberhard hat ein ganzes 3 stöckiges Haus für 80 fl. gemiethet, 278,10
Schweigger seine himmlische Wohnung für 60 fl. — Zeige Amoene
diesen Brief nicht. Dein Verbeten jedes Geschenks war für sie ein
Geschenk. Es ist hart für mich, daß du ihr, die so wenig rechten
Antheil nehmen und so wenig tiefen Rath ertheilen kann — hier
wünscht’ ich dir lieber die Seebeck zur vollendeten Vertrautin — 278,15
ein ausplauderndes Zutrauen schenkst, aus welchem Otto alles falsch
zugeführt bekommt, was nicht einmal ich ihm sage. Denn das
Wenige, was ich ihm je gesagt, war neulich nur in deiner Gegen
wart. — Mache Odilien keine Hoffnung zum Schränkchen; ich
weiß nicht einmal, was es eigentlich sein soll — Soll ich nicht der278,20
Magd ein kleines Geschenk mitbringen? Aber welches? — Die
Briefe von O[tto] und E[manuel] sollst du von ihnen zu lesen fodern;
du kennst meinen Haß, dasselbe mehr als einmal zu erzählen. —
Sogar alter Franzwein und Heeringe wie holländischer Käse sind
hier. — Ich schreibe alles durcheinander. — Lasse Bier abziehen278,25
und mehreres auf Flaschen als Krüge. — Meine Miethe mit Auf
wartung beträgt monatlich 4 fl. rh. — Die gute Monts bessert
sich; aber das Grab war nahe an ihr Bett gerückt. — Meine An
kunft erfährst du um so gewisser, da ich wahrscheinlich den Fuhrmann
von B[aireuth] wieder nehme. — Dein erster Brief hat mir freilich 278,30
statt der so süß gehofften Freude etwas anderes gebracht. Nicht die
Versöhnung, aber wol der Zorn kann bei mir „Extase“ (es ist dein
Wort) sein. Der Mensch muß sich auf einmal durch Vernunft
gewalt umwenden können. Du bist gute Hausfrau und gute Mutter;
aber ich bin ein 1) Mensch und ein 2) Mann und ein 3) Gatte;278,35
und du weist die Worte und Handlungen gegen diese 3 Dinge. —279,1
Du glaubst die Liebe so leicht gestorben, wo sie nur krank liegt oder
seufzet oder schweigt; und ohne Liebe oder ohne Hoffnung derselben
kann ich nicht leben. Hierüber hilft alles Schreiben, ja alles Her
vorrufen von Empfindungen nichts; denn diese machen gerade gegen279,5
die kleinste Wunde empfindlicher. Eben so wenig sind Grundsätze
von Weibern zu hoffen, — aber doch von Männern — Und ich
will einer sein. Wäre einer weiblichen Feuerseele ein Grundsatz
möglich: so müßt’ es wenigstens der sein: „ich will als Mutter den
Versorger meiner Kinder schonen.“ aber auch dieser wirkt wenig. —279,10

Dießmal durftest du ohne Ungerechtigkeit, mit der Krankheit
2er Kinder und der Abwesenheit des Mannes auf Freiheit von
Einquartierung Anspruch machen. — Schreibe über deine Briefe
den Wochentag des Abgangs, und von meinen den der Ankunft. —
Bedenke, welche Menge Kleinigkeiten ich auf 4 Seiten eingepreßt279,15
habe. — Wäre das Heimsehnen nicht: ich könnte bei so vielen
Büchern und wenigen Ausgaben lange bleiben. An trüben Tagen
und beim Erwachen aus dem Mittagschlaf drückt mich mein Allein
sein stark. Damit du manches auf dieser Seite besser verstehst, lies
nur meinen Brief an Emanuel. 279,20

Mitwochs [17. Juni] am Morgen

Schreibe mir doch bald den dritten Brief, nach welchem ich mich
so sehne und sage darin nichts, als was meinem Lieben wolthut.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 15. Juni 1812 bis 17. Juni 1812. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_652


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 654. Seite(n): 277-279 (Brieftext) und 539 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4 S. 4°. Der obere Rand, der vermutlich das Datum enthielt, ist abgeschnitten. B 1: IV. Abt., VI, Nr. 200. B 2: IV. Abt., VI, Nr. 201. A: IV. Abt., VI, Nr. 203. 277,13 eines] aus einer 32 die großen Ausgaben] aus das andere 278,8 verborgtes] aus neues 31 so süß] nachtr. 36 Verschiebe] aus Lasse

Karoline hatte in B 1 mitgeteilt, daß Emma und Odilie, wie vorher schon Max, an den Flecken (Masern) erkrankt seien; sie habe auf Ottos und Emanuels Rat den Arzt Sackenreuter holen lassen, und Emma sei schon auf dem Wege der Besserung. Jean Pauls Andenken an „den widrigsten Tag jedes Jahres“ (ihren Geburtstag) habe sie gerührt „als Nachklang schönerer Zeiten, wo noch mein Dasein Dich nicht unglücklich machte“, aber es wäre ihr lieber gewesen, er hätte ihn vergessen. Amöne und Otto hätten auf ihre dringende Bitte keine Notiz davon genommen, „denn nach den Eröffnungen, die Du neulich Otto gethan [vgl. Nr. 561], wäre es mir ärger als Tod gewesen, von ihm Wünsche zu empfangen, die er nur aus halbem Herzen oder aus Mitleid für mich thun könnte ... Dein edles Gemüth und die Entfernung stimmen Dich gütiger gegen mich als Du selbst, wiedergekehrt in das häusliche Leben, billigen wirst. Aber auch diese Extasen nehme ich dankbar an, wie man ein verlöschendes Flämmchen in dunkler Nacht noch gern aufflackern sieht. Meine Stimmung ist dumpfe Resignation, und diese gibt mir den Anstrich von Kälte, die Dich oft tödtlich verwundet ... Dem sanften menschlich empfindenden und nachsichtsvollen Menschen in Dir beuge ich mich gewis immer gern mit der Liebe, mit der Zuver sicht und der Hoffnung auf Frieden, die in dem ersten Moment Deines Erblickens meine Seele durchströmten — aber dem despotischen Männerwillen, der in der Liebe die Gleichheit der Seelen nicht gestatten will, dem kann ich mich wohl stumm ergeben, weil es das Verhängnis so will — aber die Resonanz der Liebe kann da nicht erklingen, es stockt das geistige Blut.“ In B 2 hatte sie gemeldet, daß nun auch Odilie das Schwerste überstanden habe und gern ein Schränkchen mit gebracht haben möchte. Um die vielen Laubthaler zu verwenden, wolle sie größere Vorräte kaufen, wenn Jean Paul einverstanden sei; Otto rate zu Wein, und sie habe darüber mit Samelsohn (Emanuels jüngerem Bruder) unterhandelt.