Von Jean Paul an Caroline Richter. Heidelberg, 1. August 1817 bis 6. August 1817.
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132,1
Mein gestern abgelaufnes Paket muß Montags bei dir ankom
men, du liebe Karoline; ich möchte wenigstens den Briefen
Flügel
geben. Wie lange werd’ ich wieder zu passen
haben, wenn du nur132,5
immer nach antwortest und nicht
voraus! Mein Plan ist nun zu
folge
meiner Magnetnadel, die mir immer den rechten Ort anzeigt
— die Frau v. Ende, die mich auch zu Schwarz herzeigte —, nach
Manheim mit Paulus zu gehen, da
bei Sternberg (wovon sogleich
mehres) einige Tage zu bleiben und dann nach Mainz (nie nach
132,10
dem kaufmännischen Frankfurt), wohin ich heute an Jung deßhalb
geschrieben — dann einige Wellen des Rheins zu befahren
— und
darauf wieder auf wenige Tage hieher zurückzukommen, um
dann
über Aschaffenburg
heimzukehren, wenn ich mich vorher durch
Pauli dort der Anwesenheit des Kronprinzen versichert
habe.
132,15
— Trotz der Menge der Einladungen erhalt’ ich doch immer nur
neue; besuch’ ich einen Professor etc. etc., so folgt
stets ein Theetisch
auf dem Fuß nach, z. B. heute bei dem
Professor der Physik, Munke.
— Beiliegendes Blättchen der Ende
(der du mit deinem Briefe
wahre Freude gemacht) verliere ja nicht — zeigen kannst
du’s —,132,20
sondern heb’ es in deinem Schreibschranke
auf, den du, Liebe, mir
jetzo schon so ordnen wirst wie
ich so lange gewünscht, die Briefe der
Nie-mehr
Antwortenden in Ein Fach, die Scheine besonders, die
Schreib-Nothwendigkeiten besonders und überhaupt alles recht be
quem blos für dich. Ihr übertreibendes
Lob meiner hiesigen Äußer132,25
lichkeit — in Vergleich mit der baireuter — erkläre dir daraus, daß
ich eben hier nur zu lieben habe, nichts Anfeindendes
anzufeinden
und sehr Gebildeten gegenüber zu
stehen.
In der ganzen Stadt trägt niemand Rücken oder Busen unbedeckt;132,30
nur eine gemein aussehende Engländerin sah ich gestern
bei Munke
anders. Es gibt viel schöne Gesichter hier, auch unter
dem Volke. —
Guten Morgen, Gute, am hellen Sonntage auf dem Berge unter
dem Glockengeläute.
Gestern gaben die Professoren und andere im Hecht ein Essen,
wozu mich der Prorektor abholte; über 60 Männer, worunter auch
133,5
der herrliche General Dörenberg war. — Man treibts
wirklich so
närrisch, daß mir Thibaut
lachend erzählte, es seien unter der Hand
einige Haare nach Manheim geschickt worden von meinem —
Hunde,
(der sich überhaupt keines ähnlichen Lebens erinnert; und
den viele
für den Spizius Hofmann im Hesperus halten, in welchem Irrthum
133,10
er sie auch läßt); an meine wagt man sich nicht,
ausgenommen der
treffliche Ditmar für seine Mutter in Liefland. — Vorgestern suchte
mich Sternberg mit seinen 2 sehr schönen Kindern in der
Harmonie
auf und bat mich ins Ohr zu Gevatter für das Kind, auf
welches
Rosalie in 8 oder 14 Tagen aufsieht; denn in der Harmonie stand
133,15
sie — noch selber dabei. Ihr Ansehen ist kräftig,
aber die feinern
Blüten sind verwelkt unter der Hand der
Harms, die ihren eignen
Mann zum epileptischen halb
wahnsinnigen Greise gemacht.
Sternberg ist ein schöner, blühender, feingebildeter,
freundlicher und
liebevoller Mann von Zartheit und
Achtung für seine Gattin.133,20
Mein Hiersein kostet mich fast weniger als das Leben zu Hause;
nur aber das Arbeiten und das Sehnen nach euch allen und
nach
meinen Häuslichkeiten treiben mich früher fort.
Das Laden zu Thee
und Essen läßt nicht nach. — Meine
Kinder werden einmal außerhalb
133,25
Baireut nach meinem Tode durch meinen Namen zumal
bei ihrem
Werthe eine hülfreichere Welt finden als ihr Vater; —
auch wird
dieser Name sie wie ein zweites Gewissen
begleiten 〈bewachen〉 und
reiner bewahren. —
Da der August ein heimtückischer Monat ist: so wär’ es wol
möglich, daß ich nur nach Manheim ginge und den
Rheinbeschau auf
ein anderes Jahr verschöbe. Auch sehn’ ich mich zu sehr,
sogar end
lich nach dem alten
Leiblichen. Denn die angenehme Zubereitung
und Wahl und
den Wechsel aller meiner Hausspeisen muß ich in133,35
diesem Hause entbehren; aber ohne daß ich es den guten Schwar-
134,1
zischen, welche meinetwegen
nicht eine lange Tafel voll Zöglinge
ändern sollen, auch
nur merken ließe. Ich freue mich kindlich auf
unser
Wiederbeisammenleben. — Luise Imhof ging als
glückliche
Gattin eines sehr schönen Mannes Klock auf ein Gut Massen bei
134,5
Breslau. — Ach warum schreibst du so gar selten? —
Daß ja Emma
das Manuskript bei meiner Ankunft zu Ende hat. — Jung
schrieb
an mich schon vor meinem Briefe.
— Ist etwas verloren oder
verdorben worden zu Hause: so
schreibe mirs vorher, damit ich die
Ankunft ohne Trübung
habe.134,10
Das Wetter hat sich verschönert und Morgen geh ich nach Man-
heim. Deine Briefe richte immer
hieher; ich werde ohnehin eher
hier ankommen als deine
Antworten. Ich schreibe dieß wieder auf
dem Berge, vom
Glanze der Gegend umgeben; wie froh könnt’ ich
134,15
sein, wenn ich euch gar hier hätte und den langen
Rückweg nicht vor
mir. Auf deine Gesundheit wurde schon
oft getrunken. Unbegreiflich
ists, wie man über sich
selber — den [man] doch mitnimmt — erst
die
rechte Übersicht gewinnt und die eignen Fehler
einsieht, wenn man
blos in andere Verhältnisse und
Gegenden kommt; inzwischen gehts134,20
mir so und ich
werde daher in einer neuen sehr verbesserten Auflage
zu
dir, du Gute, zurückkommen. — Wende ja ein Bischen Geld auf
deine und der Kinder Freuden und willst du aus Hausfurcht nicht
weit fahren: so bitte dir öfter die zu, die deiner werth
sind. — Ich
bin übermäßig gesund, ob ich gleich jeden
Abend Thee, Wein und134,25
Punsch genießen muß, vom
Sprechen nicht einmal zu sprechen, z. B.
bei der
herrlichen Fahrt nach Weinheim, wo das Sprechen von
8 Uhr morgens dauerte bis 10 Uhr abends ohne andern
Absatz als
den des Hörens.
[
Lücke
]
Lebe wol, Geliebteste! Dein Brief, der gewis morgen kommen
muß, wird mir nach Manheim nachgeschickt. — Mein Emanuel
und seine Em[an]uela seien recht
gegrüßt — und Otto — und die
guten Kinderlein, die bald wieder um mein Kanapee stehen
werden.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Richter. Heidelberg, 1. August 1817 bis 6. August 1817. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_305
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 8 S. 8°, die 4 letzten auf dunkelblauem Papier; am Schluß ein Stück herausgeschnitten. J 1: Wahrheit 8, 110× (vgl. zu Nr. 301). J 2: Nerrlich Nr. 148×. A: IV. Abt., VII, Nr. 63. 132,6 nach] nachtr. 8 nach] aus über 24 Nothwendigkeiten] aus Neceßaires 133,23 das Arbeiten] aus die Arbeit 33 f. endlich] aus auch 134,1 den] aus der 8 schon] aus noch 16 Rückweg] aus Rücksicht 24 zu] nachtr. 27 Fahrt] aus Reise
Angekommen 10. August. 132, 10 Mainz: Karoline hatte am 25. Juli geschrieben: „Schade, daß Jung in Mainz und nicht in Frankfurt ist; allein vielleicht kommt er dorthin.“ Am gleichen Tage schreibt sie an Jung (Berlin JP): „Erst heute erbreche ich Ihren theuern Brief und bin überrascht, Sie nicht in Frankfurt zu sehen, wohin mein Mann vermuthlich geht; allein Mainz ist ihm wegen der Erinnerung an die Lux zu schmerzlich, und gewis geht er nicht nach Mainz.“ 15 Pauli: vgl. FB Nr. 4. Kronprinz: s. 118, 10†. 19 Karolinens Brief an die Ende v. 25. Juli 1817 ist erhalten (Alt-Jeßnitz). 21 Schreibschrank: s. 50, 29; über Karolinens Briefordnung s. Br. IV, Nr. 214. 133, 5 Prorektor: Karl Salomo Zachariae (1769—1843), Prof. der Jurisprudenz. 6 General Wilh. Kaspar Ferd. von Dörnberg (1768—1850), der bekannte Freiheitskämpfer. 11 an meine (Locken) wagt man sich nicht: vgl. dagegen Persönl. Nr. 218 S. 186. 12 Ditmar: s. Nr. 311† . 13ff. Sternberg: Karoline hatte am 25. Juli geschrieben, Frau Lenz (Rosaliens Schwester, s. 152, 15), sei bei ihr gewesen, „um Dir ihre Schwester ans Herz zu legen und ein Urtheil von Dir über ihren unbekannten Schwager einzuholen“. 17 Rosalie war nach ihrer unglücklichen Liebschaft mit dem Grafen von der Goltz (s. Bd. VI, Nr. 9) längere Zeit bei Emilie Harmes (vorm. v. Berlepsch) auf deren Gut Erlenbach am Zürichsee gewesen, von wo sie am 28. Okt. 1811 an Karoline Richter geschrieben hatte (Berlin JP). 134, 4f. Luise Concordia von Imhoff (1788—1848) hatte sich am 1. Mai 1817 mit Leopold Otto Ferdinand Freiherrn von Kloch (1791—1839) verheiratet; das Gut hieß Massel. 8—10 Vgl. Bd. VI, 200, 19—22, 281, 10—12. 23 Hausfurcht: vgl. 124, 5—7†. 29 In diese Lücke gehört wahrscheinlich Bd. VIII, Nr. 519. 33 Otto: Karoline hatte gebeten, Jean Paul möge an ihn schreiben, da er sehr hypochondrisch sei.