Von Jean Paul an Maximilian IV. Joseph. Bayreuth, Anfang März 1822.
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[Konzept für Heydel]
p. p.
Dem Throne des gütigsten Königs, welchen ein beglücktes Reich um
gibt, muß sich traurig mit Bitten ein
Staatsdiener zu nähern wagen,153,5
welchem ein
fortberaubendes Misgeschick aus 35 Dienstjahren nichts als
das Bewußtsein seines Diensteifers und die Hoffnung auf seinen König
übrig gelassen — alles Übrige um ihn und seine Kinder her ist
Dürftig
keit und eine finster bewölkte
Zukunft.
Euer K. Maj. geruhen allergnädigst, meine Leidensgeschichte ganz153,10
kurz zu vernehmen; denn es ist Pflicht, vor dem gütigsten
der Könige
trübe Jahre in Zeilen zusammenzudrängen.
Mein Vater, der Pfalzbaiersche Hofkriegsrath in Manheim,
hinter-
ließ fünf unerzogne Kinder und Armuth.
Im 13ten Jahr wurde ich
Kadet; und
diente dann als Offizier überhaupt 20 Jahre; und in den153,15
Feldzügen von 1800, 1805, 1806 und 1807 gegen Frankreich,
Öst-
reich und Preußen. Das Bombardement von
Manheim nahm mir
Armen durch Brand meine ganze Habe; und der nothwendige
fünfjährige
Aufwand als Regiments- und als
General-Adjutant häufte zu den alten
Schulden neue an.153,20
Im J[ahre] 1807 wurde ich Oberzollbeamter
in Wangen mit der Ein-
nahme von 800 fl. und heirathete die
Tochter des gleichfalls armen Haupt
manns Bauer; voll Hoffnung und Wunsch, durch Sparen
abzuzahlen.
Aber nach 5 Monaten rief mich aus dem wohlfeilen Wangen
die
Zufriedenheit meiner Obern nach München als Zollbeamter. Die
153,25
Transportkosten — die Theuerung der Hauptstadt — die
Einquar
tierungen und meine
Unterstützung meiner alten Mutter machten mich
von neuem
ärmer.
Nach drittehalb schweren Jahren wurde ich 1809 als Zollinspektor
mit 200 fl. Zulage auf den Frühling nach Nürnberg und auf den Herbst
153,30
nach Bamberg bestimmt.
Die Glückssonne schien wieder durch die Wolken meines Lebens zu
brechen; aber sie verschwand sogleich darhinter. Denn als
ich schon nach
dem Verkauf des Hausgeräthes und nach allen
Opfern reisefertig da
stand: begann der
östreichische Krieg — und ich blieb noch ein Jahr in
153,35
München ohne Gehaltszulage.
Endlich kam ich als Oberzollbeamter nach Cronach, aber die
Gehalts-
154,1
zulage blieb mir blos versprochen.
Nach 10 Monaten kam ich als Oberzollbeamter nach Bamberg;
aber noch ohne Zulage; bis ich endlich nach dem 5ten Monat eine von
400 fl. erhielt.
Nun aber mußte ich dem Aerar die erhaltenen Umzugs154,5
kosten von 300 fl. bei dem Versetzen von
München nach Cronach und
von da nach Bamberg wieder
zurückzahlen.
An dieses Unglück schloß sich ein größeres an, die Wiedererstattung
von 500 fl., deren Raub aus meinem Geschäftszimmer
(wahrscheinlich
in der Meßzeit während des Zudrangs der
Zollpflichtigen) ich erst spät154,10
unter dem arbeitvollen
Ordnen der verworrenen Registratur von
170,000 fl.
wahrnahm.
Jetzt hatten meine wahrhaft unverschuldeten Schulden,
womit
mich Unglück und Zinsenwucher zugleich beluden, die
schreckliche Höhe
von 4000 fl. erreicht, gegen welche ich
nur durch einen gerichtlichen154,15
Vergleich jährlicher
successiver Abzahlung aus meinem Gehalte eine
schmerzliche
Hülfe fand.
Mit einem ⅔ Gehalte nun zu leben nebst vier Kindern — unter
Einquartierungen — durch die Hungerjahre 1816 und 1817 hindurch —
hieß nicht leben, sondern leiden.154,20
Endlich wurde ich 1818 aus dem theuern Bamberg wieder
versetzt zur
Errichtung des dritten Oberzollamtes, nach Miltenberg, blos um drei
Hoffnungen getäuscht zu sehen, erstlich die der
Wohlfeilheit, zweitens die
Hoffnung einer Bildung für meine
Kinder, da das Gymnasium auf
gehoben und
alle Schulen entfernt waren. Eine dritte Hoffnung ging154,25
verloren, jedoch nur für mich, nicht für den Staat.
Ich vermuthete nämlich große Zolldefraudazionen bei der Holz
Ausfuhr auf dem Main; — und fand nach einer
vierzehntägigen
Arbeit von Abmessung, Abzählung und Berechnung
ungeheuerer
Massen der verschiedensten Holzgattungen —
eine Arbeit, die mich ein154,30
mal in
Lebensgefahr, in den Mainstrom stürzte — eine solche Menge
von Defraudanten, daß mir gerichtlich nach Werth-Maßgabe
des
Objektes nach der Vorschrift des Gesetzes ein mehr
als 1200 fl. be
tragender Denunciations-Antheil zuerkannt wurde.
Aber mein Misgeschick entwandte mir wieder diesen Antheil; das154,35
Amts-Personale neidete, klagte und kehrte eine spätere, im
Oktober
1819 zur Zeit meiner Entdeckung gar noch nicht
geborene Verfügung,
welche den Denunciations-Antheil an das ganze Personale vertheilt,155,1
gegen mich und ich bekam nur den sechsten Theil und die fünf
müßigen
Zuschauer die übrigen fünf Theile.
Nach 21 Bittmonaten kam ich als Oberzollbeamter nach Baireut
mit 1200 fl. Gehalt, wovon ich jährlich an meine Gläubiger
400 fl.155,5
vertragmäßig zahle. Aber auch diese letzte Station sollte gleichsam meine
siebente Leidens-Station werden; indem eine vorjährige
Verordnung
allen Kassenbeamten ein Amtsbürgschafts-Kapital
von 800 fl. auf
erlegt, wofür ich wieder
⅙ Abzug von meinem schon mit Abzug ver
minderten Gehalte geben muß. — —155,10
Und so stehe ich denn in der Nacht meines Schicksals mit nassen
Augen, aber mit kindlichem Herzen vor dem Vater des
Vaterlands
und mit der letzten, aber desto stärkeren
Hoffnung auf seinen Gnaden
blick,
welcher als Sonnenblick mein kaltes überwölktes Leben durch
dringt und erleuchtet.155,15
Alles war bisher in diesem düstern Leben Verarmung — meine
Geburt war eine — meine militärische Laufbahn war eine — jede Ver
setzung wurde zu einer Zurücksetzung;
und sogar die Zwischenakte des
Schicksals plünderten den
Verarmten.
Jetzo hebe ich in meinem 48ten Lebens- und Leidensjahre mit
meiner155,20
nachleidenden Gattin und mit vier
unerzognen Kindern die Hände zu
Ew. M. bittend auf, und zwar
zum erstenmale, ob mir gleich in früherer
Zeit das hohe
Glück, Ihnen persönlich bekannt zu werden, und schon
meiner
seel. Mutter das zweite geworden, von Ihrer Huld jährliche
Hülfe zu empfangen.155,25
Mein Unglück hat für mich gesprochen; das Herz meines Königs wird
antworten.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Maximilian IV. Joseph. Bayreuth, Anfang März 1822. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_252
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K (Konzept): SBB, Nachlass Jean Paul, Fasz. 26. 6⅔ S. 4°. Zahlreiche Korrekturen.
Vgl. Nr. 253 und 256. 153, 17 Bombardement von Mannheim: im November 1795.