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Korrespondenz

Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 28. Dezember 1785.

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Hochehrwürdiger und Hochgelehrter Herr, 188,23
Hochzuverehrender Herr Pfarrer,

Ich bin sehr zum Schlagflusse geneigt; wenigstens wil ich es hoffen: 188,25
denn wäre das nicht, so seh’ ich auf keine Weise ab, wie ich dan den
Rath der Ärzte gut auf mich zu ziehen vermöchte, daß Schlagflüssige
nicht lange rükwärts sehen sollen. Hier versteh’ ich unter rükwärts
sehen — in die Vergangenheit sehen. Doch Eine Unwahrheit, die ich
in ihr antreffe, wil ich wegschaffen, weil sie Sie auf meine Kosten belog. 188,30


Ich habe nämlich an der Erdichtung, daß Ihr Gaul gestorben wäre, 189,1
nicht den geringsten Antheil gehabt und anstat zu belügen wurde ich
vielmehr selbst belogen. Denn zu der nämlichen Zeit, da der Pf[arrer]
in Schwarzenbach Ihnen diese Erdichtung überschikte, schrieb mir der
H. Aktuar die, daß Ihr Fuchs seine irdische Hütte geräumet habe. 189,5
Sie können sich also nicht an mir, sondern mit mir rächen.


Mir hätte längst einfallen sollen, daß es besser gewesen wäre, wenn
Sie den Titel Raffinerien nicht von raffiner hergeleitet, sondern damit
auf die Zukkerraffinerien in Hamburg z. B., angespielet hätten: diese
säubern den Zukker, und Ihre die Orthodoxie, die mit dem leztern 189,10
übrigens wenig Ähnliches hat. Doch Ihr zweiter Theil erlaubt Ihnen
noch den Widerruf.


Ihr zweiter Theil wil wahrscheinlich sich in Hof nicht eher sehen
lassen als in der übrigen Welt und als gedrukt: ich werde daher, um
ihn im Flügelkleide kennen zu lernen, selbst zu Ihnen reisen müssen: 189,15
wenn Sie und Ihre Gattin es erlauben, so zögere ich nicht.

Ungeachtet der Jg.l nicht erst ein Stachelhalsband bedarf, um
gehörig stechen zu können: so werd’ ich doch Ihren raffinirenden Satyr
mit Vergnügen von meinem begleiten lassen und Ihnen eine Satire auf
die geistliche Kleidung machen, wenn Sie nur vorher über die Be189,20
schaffenheit, von der Sie sie verlangen, sich deutlicher erkläret haben.


Sie sind der Pabst, von dem ich in dem für die Seele so nahrlosen
Hof von Zeit zu Zeit eine wolfeile Fastendispensazion einhole: ia Sie
gehen weiter als der Pabst, Sie geben selbst die Speise, die Sie er
lauben; diesmal vielleicht nun diese: 189,25


Bibliotheque universelle. Tom. II. et choisie Tom. II.
Schroekhs Biographie. Dritter Theil.
Haereticorum catalogus. Tom. II.
Alg. Deutsche Bibliothek. Erster Band.
Belisaire oder auch Lightfooti horae hebraicae. 189,30
Salomo bat um Weisheit früher als um Reichthum, und erhielt
beide; ich ahme ihm in diesem Briefe nach — möcht’ ich auch sein
Schiksal haben!
Nämlich meine Mutter ist in der grösten Verlegenheit; die Feier-
tagsausgaben und die iezt gefälligen Steuern haben sie ganz aus189,35
geschöpfet. O lieber Freund! wenn ich ihr helfen könte, wenn es
wenigstens nur meine Feder könte! Ich meine, wenn sie doch Sie
veranlassete, mir und ihr eine sehr grosse Gefälligkeit zu erweisen, 190,1
indem Sie ihr aus Ihrem Gotteshause etwan 25 fl. auf eine hypo
thekarische gerichtliche Versicherung vorstrekten. Lieber Freund! wenn
Sie können, so lassen Sie mich nicht.
Ich bin unter vielen Hofnungen 190,5

Hof den 28 Dez. 1785.
Ew. Hochehrwürden gehors. Diener und Freund J. P. F. Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 28. Dezember 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_134


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 134. Seite(n): 188-190 (Brieftext) und 469-470 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Brit. Museum. 4 S. 4°. K (nach Nr. 132): An Vogel in Reh[au] 28. Dez. J 1: Wahrheit 3,341 u. 4,34 ×. J 2: Nachlaß 3,256. B: IV. Abt., I, Nr. 46. A: IV. Abt., I, Nr. 48. 188,30 meine] so K, meinen H 189, 6 können] dürfen K 8 abgeleitet K 22 Sele K 23 Hof] aus Hofe H, Hofe K 190,2 sie H

189 , 1–5 Gaul gestorben: vgl. Nr. 118. 8 Vogel hatte bei dem Titel Raffinerien die Bedeutung von raffiner = klügeln, grübeln im Sinne gehabt. 17–21 Vogel hatte gebeten, ihm bis Lichtmeß (2. Febr.) eine Satire über die Perücken und die schwarze Kleidung der Geistlichen für den 2. Teil der Raffinerien zu liefern. 26Bibliothèque universelle et historique de Jean LeClerc“, 26 vol., Amsterdam 1686—93 (vgl. 172, 22†); Exzerpte daraus im 9. Band von 1785. 30 Belisaire: wohl der Roman von Marmontel (1760). John Lightfood, „Horae hebraicae et talmudicae“, ed. Carpzov, Leipzig 1675—84.