Von Jean Paul an Ludwig Roentgen. Meiningen, 21. April 1803 bis 22. April 1803.
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213,27
Mein guter, lieber, alter Röntgen! Dein zufälliges Blätgen an
mich gehört unter die Blütenblätter, die der schöne
Frühling jezt un213,30
gestüm aus
allen Zweigen treibt. Dein Briefgen sei die (Prediger-)
Disposizion des meinigen, ganz topographisch. —
Morgen werd’ ich deinen Kettler erst sehen.
In der Messe erscheint der 4te Titan 36 Bogen stark, —
blos
künstlerisch genommen, mein bestes opus. Weiter hab’ ich — ausser213,35
einem
kleinen Aufsaz in Cottas Kalender, den du gewis gelesen
—
nichts gemacht. Künftig 〈Nächstens〉 komt eine komische
Biographie
214,1
und eine Samlung ästhetischer Abhandlungen.
Ich ziehe im Mai nach Coburg, ins geographische Paradies.
—
Ein erotisches gab mir im September meine Frau durch eine —
Toch-
ter, die mir freilich keinen Himmel
giebt, der sich nicht in der Mutter214,5
liebe verdoppelte und erhöhte bis zu einem dritten.
Deinen Bilder-Index werd’ ich dem hiesigen Herzog geben —
da
er samlet — und dan dem koburgischen, ders auch thut,
wiewohl eine
Brustwassersucht jezt bald sein schönes Herz ersäufen wil.
Es versteht
sich, daß ich thue — und unendlich freudig —,
was ich kan.214,10
Es wäre freilich ein heller Tag, wo du deinen Norden in einen
Süden umgesezet hättest und die Ferne in vier in einander
blickende
Augen — Aber ich verzage nicht einmal daran;
ich bin ein fliegendes
Wesen, das schon alle Freunde
wieder- und wiederfand — warum denn
dich nicht? — Ich halte
dich für sehr gut; sonst würd’ ich nicht so an214,15
dich
schreiben als wär’ ich ein Jüngling und du einer.
Wiewohl ich mich jeden Abend abschatte, wenn ich vor Lichtern
gehe: so hab’ ich doch keine Abschattung. Meine
Kupfer-Stiche nim
immer für Dolch- u. a. Stiche. Nicht ein
Wort ist in den verdamten
Zeichnungen wahr, und ich sehe
durchaus bisher nichts ähnlich als214,20
mir und meiner
Emma (So und Idoine etc.
heisset mein Kind.) —
Liebe meinen Emanuel recht. Nirgends, nirgends fand ich
Seines
Gleichen, sein Herz lebt blos von Beleben, Erfreuen ist
seine Freude.
Und dieses warme weiche zarte Herz stelt doch
der Welt, wo ihrs
nöthig ist, eine mänliche Eisen-Brust
entgegen.214,25
Dein Kettler gefält mir als ein gewandter, besonnener
polierter
Man, dem man Amt und Norden nicht ansieht. — So lebe
recht
wohl, Theuerer, mit deiner Geliebten, die wie ich
höre, der meinigen
ähnlich ist.214,30
[Adr.] H. Konsistorialrath Roentgen Esens.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Ludwig Roentgen. Meiningen, 21. April 1803 bis 22. April 1803. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_362
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin acc. ms. 1895. 144 (derzeit BJK). 4 S. 8°; Adr. auf blauem Umschlag. K: Roentgen 22 Apr. B: IV. Abt., IV, Nr. 282. 214,7 hiesigen] nachtr. H 9 bald] nachtr. H 19 Dolch-] aus Eisen- H 20 Zeichnungen] davor gestr. Bild- H nichts] aus niemand H K 24 weiche] nachtr. H wo ihrs nöthig ist,] nachtr. H
Roentgen hatte in einem durch den Steuerrat Kettler überbrachten Briefe um Jean Pauls neueste Werke, um seine Silhouette und um Unterbringung einiger Gemälde gebeten.