Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Meiningen, 6. Januar 1803.
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Schwer entsinn’ ich mich des Briefes, auf den Sie mir — und viel
leicht auf der Stelle — antworteten; denn
Ihnen wird das Auf
brechen schwerer als
andern das Beantworten. Indes wenn Sie auch
meinen Dank für
meine Freude über Ihre briefliche und poetische
Erscheinung
erst im Jahre lesen, wo ich Ihre Antwort erwarte,197,15
nämlich 1804.: so sein Sie doch gewis, daß er da noch lebt und grünt
im künftigen Schnee. Ihre Luna hat, wie der Volmond im
Winter-
solstiz, den Gang der Sommersonne und sie
überdämmerte mich schön
mit ihrem antiken Wiederschein des
griechischen Apollo; ob sie gleich
auch hier ihren Wechsel-Sin durch einige Einheits-Lücken
behauptet197,20
hat. Sie fassen schön neue Kraft in alte
Form.
Heim, der genialischte Mensch in Meiningen — in der Geschichte,
Chemie, im Amte und überal — dankt Ihnen sehr für die
prosaische
und poetische Freude zugleich.
Ihn und den Herzog — den ich immer mehr achten lerne — ver-
197,25
lasse ich ungern und schmerzlich
im künftigen Mai: denn da zieh’ ich
nach Koburg; und ich möchte dies in Ihr Gedächtnis graben, damit
mich Ihre nächste Antwort nicht verfehle. Auf meinen Titan
wünscht’
ich sehr eine von Ihnen, weil ich im 2. und noch mehr im 3.
Band (und
am meisten im 4ten oder
lezten) endlich auf die rechte olympische
197,30
Musen-Bahn gekommen zu sein glaube, die nicht wie ich
sonst dachte,
nach Stärke, sondern nach Schönheit, nicht nach dicken
Früchten, son
dern nach zarten Blüten
ausgeht. Den Übersezer und Wetläufer des
Properz hört’ ich so gern darüber! Aber er wil die Federn in
seinem
Flügel lieber zum Fliegen heben als zum Schreiben
ausziehen.197,35
Übrigens leb’ ich hier — unter meinem Dache — etwas seelig,
habe Frau und Kind wie sie mein Herz begehrt, schreibe immer
bessere Bücher und immer liebendere Briefe (dieser sei
Zeuge) und198,1
brauche nichts als zuweilen von alten kritischen
Freunden ein liebes
Wort an
Ich grüsse Ihre Gattin sehr und wünschte Nachrichten von Ihrem
198,5
geflügelten Sohn.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Meiningen, 6. Januar 1803. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_337
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Kestnermuseum, Hannover. 4 S. 8°. K (nach Nr. 334): Knebel 6. Jenn. J: Knebel Nr. 7. i: Denkw. 3,99. B: IV. Abt., IV, Nr. 272. A: IV. Abt., IV, Nr. 275. 197,14 und poetische] nachtr. H 17 der Volmond] aus die andere H 21 fassen] davor gestr. verbinden mit neuer H 28 nächste] nachtr. H 30 am meisten] nachtr. H 33 ausgeht] aus führt H 34 er wil] Sie wollen K
Angekommen am 16. Januar, am 18. von Knebel an Karoline Herder gesandt. 197, 12f. Aufbrechen: s. 82, 4–6. 17 Luna: Knebel hatte eine Abschrift seiner Hymne an Selene (Nachlaß I, 5) übersandt. 22–24 Knebel hatte Heims „treffliche geologische Urtheile“ gerühmt. 198, 6 Sohn: Karl (1796—1862).