Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Meiningen, 21. Juli 1802.
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Unvergeslicher, wenn auch nicht immer Unvergessener! Die Sünde
ist die Strafe der Sünde; die neue Verzögerung die Strafe der alten.
So bin ich denn genug gestraft für das böse Schweigen, das ich
auf
eine so wizige Zuschrift und ein so wiziges Contra-Exegeticum so163,10
lange
beobachten konte. Ihr Geschenk fand mich in Berlin, mitten
in
den Lust-Wirbeln der grossen Stadt, der Bekantschaften und
der
erotischen dazu, die mich im Oktober durch das künftige
Wort:
Vater hindert, in Ihre Gegend zu kommen. Ich wolte
mit meiner
Frau eine Reliquien-Reise nach dem klassischen
Boden meiner Jugend-
163,15
jahre — und also zu dem Ihrigen
auch — machen; sie wird auch ge
macht;
aber nur um ½ Jahr später.
Ich bitte Sie, mich nicht mit meiner Nachahmung zu strafen,
sondern recht bald an mich zu schreiben und recht viel über Ihre
geistigen und leiblichen Kinder und über alles was Sie
nahe
163,20
berührt.
Ich habe durch eine zwanzigjährige Festigkeit endlich die Un
abhängigkeit und das ganze gelobte Land erkämpft, das
anfangs
nur eine Wolke war, dan unter einer lag und endlich lebendig
da ist.
Wenn ich einmal dazu gelange, mein Leben zu schreiben:
so trit darin
163,25
früh ein Pastor Vogel in
Rehau auf die Bühne.
Das Kapitel Ihres Buchs, das die erste Brodverwandlung
(für die 4000) darstelt, ist eines der wizigsten und besten.
Übrigens
würd’ ich jezt — troz aller Einigkeit über die historische Geburt der
Offenbarungen —
doch ganz uneinig mit Ihnen über den Werth der163,30
Mutter
dieser Geburt sein. Es ist wie mit dem Glauben an er
scheinende Geister; nicht dessen Objekt ist wahr oder
bedeutend; aber
der Glaube selber ist eine
Geister-Erscheinung, und keine zufällige
After-Geburt, sondern
ein heiliges rechtmässiges Kind aus dem
Menschenherzen und an
der Menschenbrust. —163,35
Grüssen Sie mir meinen alten immer, nur nicht von mir, ver164,1
kanten Cloeter und den
menschenliebenden Vogel; — und alle Ihrige.
Vale, ne taceas!
„Cito“ schreibt mein Bruder der Balbier auf alle seine
Briefe.
164,5
Aber das Cito ist besser bei
dem Schreiben als Spedieren angebracht.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Meiningen, 21. Juli 1802. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_296
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Brit. Museum. 4 S. 8°. K: Vogel. Arzberg 21 Jul. J 1: Wahrheit 6,243. J 2: Nachlaß 3,270. A: IV. Abt., IV, Nr. 336. 163,12 der1] aus einer H 13 künftige] nachtr. H 16 zu dem] aus auf den H 24 nur eine Wolke] aus zu den Wolken H lebendig] nachtr. H da ist] war K 34 After-] nachtr. H rechtmässiges] nachtr. H 164, 1 nur nicht von mir] nachtr. H
Vgl. 73, 6f. 163, 7 Vgl. 18, 30. 31–35 Vgl. I. Abt., XI, 36,10ff., 84,27ff. (Vorschule der Ästhetik, § 5 u. 24.)