Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 10. Mai 97.
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Wenigstens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich
wil alles abgerissen und fragmentarisch sagen, wie das Schiksal uns331,5
die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumisset.
Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleischernen
Frühstük in Gefrees — und um 2 Uhr — nach einem einstündigen
in
Münchberg —, in Hof an. Alle meine Geliebte im
Ott[oischen] Hause
machten die Fenster vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab
durch331,10
meine Schilderungen Christian Entzückungen und
Wünsche; aber er
kan nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, sondern Dinge
die er
verschweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine
Bayreuther
Tage als ich! —
Renate erwartet meine längern Berichte erst. Ich glaube, ihre
331,15
Lippen suchen auf meinen nichts als Ihre Küsse. Da ich
ihr die
Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und — zeigte:
so sah ich,
das ihr Verbot nur aus
Furcht der entgegengesezten gegeben war;
und sie freuete sich
über die Erlaubnis. Kurz ich fand und brachte
überal nichts als warme Liebe wieder. — Vergessen Sie den
In331,20
kognito-Manichord
[?] über den Klöterschen grössern Sohn
nicht! —
Danken Sie in meinem Namen für das Elrod[sche]
Petschaft, für
dessen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. —
Der Mensch, der überal Körper und Geist amalgamiert, verknüpft
daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben so den lezten Brief, den331,25
ich auf immer aus diesem Zimmer schreibe, mit meinen Gefühlen.
Nie
rükt die schattige Vergangenheit näher an mein Herz und
nie hör’ ich
das eilende und zermalmende Räderwerk des
Schiksals und des Lebens
lauter umrollen als — wenn ich
ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie
spielet alles! Wie oft
fangen wir im Leben das Leben von neuem an,331,30
mit
grössern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die
Vergangenheit arm! — Ich sage nichts, Theuerer, von der 14tägigen.
Meine Liebe und meine Sehnsucht und meine Dankbarkeit wohnt
bei
Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, stille Seele!
lebe wohl und
bleibe so!331,35
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 10. Mai 97. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_606
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: SBa. 4 S. 8°. K: Emanuel 10 Mai. J: Denkw. 1,64×. 331, 2 10]1 aus 2 H 21 Manichord] vielleicht Manhard oder Momhard H grössern] nachtr. H 26 auf immer] aus an Sie H 30 Wie bis 32 arm!] mit Blei gestr. K 30 oft] nachtr. H
331,21 Cloeters Sohn: vgl. FB Nr. 23.