Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 10. Mai 97.
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Wilkommen, Lieber! Das Erste was ich in Hof schreibe, ist
dieses
Blat. 14 volle Tage bracht ich in Bayreuth im Hause meines
ge-
329,20
liebten Emanuels zu, und ausser
seinem Hause in den sanften Zirkeln
der blühenden und duftenden Natur, und in den feinen Zirkeln
ge
bildeter Leute, die meine Freunde,
wenigstens meine Leser sind. Die
Welle, die mein geworfner
Dintentropfen macht, dehnet sich immer
weiter aus, besonders
unter den höhern Klassen. Schon darum geb’329,25
ich auf
keine Bouterweksche oder Rezensenten Injurie Antwort:
ich
mache sie nur dadurch bekanter und
dauerhafter, erangle bos
hafte Erwiederungen, beweise meinen Freunden, was sie
schon
glaubten, und meinen Feinden, was sie nie glauben und
sondere selber
aus der Leber meines innern Menschen zuviel
Galle ab. Nur zweien329,30
Injurien würd’ ich antworten:
ewigen (z. B. wenn Schiller förmliche
schriebe) und solchen, die mein Herz antasten. —
Lasse mich alles unter einander werfen!
Gleim schrieb an Buchhändler Lübek um die 2 neuen Bände
des
Titans und siehe Siegel, Handschrift, Briefform, alles ist
von —
329,35
Septimus Fixlein, der mir das Gold geschikt. Denke
dir meine Freude,330,1
daß ich diesem Greise ausser den
litterarischen Freuden auch diese
verdankte, um so mehr, da die
Annahme einer anonymen Gabe viel
mislicher ist als einer
benanten, weil man seine Dankbarkeit dem
Schlimsten wie dem
Besten aufheben kan. —330,5
Sage deiner geliebten Friederike den Dank eines Herzens für ihren
freundlichen sanften wohlwollenden Brief. Ich wäre beinahe
zur
Messe nach Leipzig gekommen. —
Der Buchhändler Hennings hatte
schon Ordre, dir das Kampaner Thal schon auf der Messe zu
über-
geben, um mir das Packen zu ersparen. —330,10
Beigangs Vignette ist eben nicht übel: mache, daß er mir meine
Freiexemplare und die Lesebücher bald schikt. Auch möcht ich
fürs
Geld 3 Kupferstiche von mir, fals ich gewis wäre, daß mir
Pfenninger
keine übermacht. —
Beiliegende Trauerprose macht’ ich in Bayreuth auf den Tod
der
330,15
tugendhaften Mutter eines Freundes von mir, die ½ Jahr
ohne
Essen unter steter Kolik, Miserere, Windgeschwulst freudig
gelitten
hatte. Ihr Man war an einer immerwährenden
Herzensangst, die
vom Verwachsen des Herzens und Herzbeutels herkam,
gestorben.
Jezt wird dir die Dichtung deutlich sein.330,20
In Erlang lieset ein M. Hagen über meine
sentimental[ischen] Auf-
säze. — Von Fichte bekomm’ ich leider
nichts zu sehen. —
Meine Abwesenheit theilt mir viele epistolarische und andere Ge
schäfte zu: nim also die Leerheit dieser Blätter nicht
übel.
Ich wünschte, du bekämest meinen Verleger Matzdorf zu sehen und
330,25
zu beurtheilen: eine lebendige Ansicht der lebendigen
Gestalt ist ein
besserer Hauptschlüssel zum ganzen Menschen
als Briefe, die nur
wächserne Schlüssel sind. Aus Briefen lernt man wie aus Büchern
zwar den idealischen Theil der Verfasser kennen, aber nicht
das Ver
hältnis desselben zum
thierischen.330,30
Mögen bald deine Geschäfte Freuden Plaz machen und deine
Unruhe dem stillern Leben! Ich liebe dich wie immer oder wenigstens
stärker, mein guter Oertel!
Amöne schikt ihrem vorigen Briefe noch einen herzlichen Grus
330,35
nach
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Hof, 10. Mai 97. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=II_605
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 5½ S. 8°. K (nach Nr. 597): Oertel 10 Mai. J: Denkw. 1,353×. B: IV. Abt., II, Nr. 192. A: IV. Abt., II, Nr. 197. 329, 18 10] aus 24 H 22 Zirkeln] nachtr. H 330,4 weil] da K 28 Schlüssel] nachtr. H 29 der Verfasser] aus des Verfassers H 32 oder] noch, K 35 vorigen] nachtr. H
329,26 Vgl. B: „ Bouterweck war neulich hier und hat sich mit niedrigem Neid über dich gegen Beygang geäußert. Ich zweifle nun nicht mehr, daß er absichtlich in jenem Roman, wovon ich dir erzählte in Hof, einem humoristischen Narren deinen Namen gegeben. Ich kann dirs nicht läugnen, daß ich wünschte, du ahndetest es, und daß ich darum dieses schreibe.“ Es handelt sich um Friedrich Bouterweks Roman „Gustav und seine Brüder“, Halle 1796, in dessen 1. Teil, S. 177f., ein „Jean Paul“ auftritt. Nach einem Brief Oertels an Amöne Herold vom 26. April 1797 (Koburg) hatte Bouterwek geäußert, Richter werde in 5 bis 6 Jahren vergessen sein, er sei unreif und habe seinen Ruhm den Xenien zu verdanken. 330, 1 Septimus Fixlein: vgl. zu Nr. 350; Oertel hatte am 11. Januar 1797 an Amöne geschrieben, der Septimus sei vermutlich „ein Mann von starkem, aber nicht feinem Gefühl, wahrscheinlich ein alter Landedelmann, in früherer Jugend Soldat, voll echter Frömmigkeit und eines respektabeln Biedersinns, kurz was man einen alten deutschen Degenknopf nennt“. 6f. Friederike von Oertels Brief ist nicht erhalten; vgl. Nr. 578. 8f. Oertel hatte um das Kampanerthal gebeten. 11 Vignette: zum Jubelsenior. 13 Oertel hatte geschrieben, Pfenninger habe den Kupferstich von Jean Paul beendigt. 15 Trauerprose: s. 326, 27†. 21 Hagen: s. Nr. 724†. 22 Oertel hatte gefragt, ob Jean Paul etwas von Fichte gelesen habe. 25 Gegen Matzdorff, der zur Messe in Leipzig war, hatte Jean Paul Mißtrauen gefaßt; vgl. 333, 25 und Nr. 647.